Paukenschlag im LandgerichtGefeuerter Lutz Mörtl zieht Klage gegen SVG zurück und kassiert Abfindung / Richter vertagtVon Dominic WeltersLeipzig/Delitzsch. Stadtrat Wolfgang Herder von der Fraktion Die Linke hatte sich extra „ein paar Bemmen“ mitgebracht, weil er eine weitere Mammut-Sitzung erwartete. Und auch andere interessierte Damen und Herren aus Delitzsch waren vor Beginn der dritten öffentlichen Verhandlung im Kündigungsfall Lutz Mörtl gegen die Technischen Werke Delitzsch (TWD), die Stadtwerke Delitzsch (SWD) und die einstige TWD-Beteiligung Sortier- und Vermarktungsgesellschaft (SVG) aus Naundorf (Sachsen-Anhalt) auf längeres Zuhören eingestellt. Doch dann ging am Donnerstagnachmittag vor der 5. Kammer für Handelssachen am Leipziger Landgericht alles ganz schnell. Denn gleich zu Beginn gab´s den Paukenschlag: Markus Rudolph, Anwalt von Ex-Mehrfach-Geschäftsführer Mörtl, teilte dem Gericht in zwei knappen Sätzen mit, „dass mein Mandant die Klage gegen die SVG zurückzieht“. Man habe sich außergerichtlich geeinigt. Der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Zügler war baff, unterbrach die Sitzung für wenige Minuten, um sie schließlich „wegen einer neuen prozessualen Situation“ zu vertagen. Am 17. August um 14 Uhr will der Richter im Rahmen eines Verkündungstermin bekanntgeben, wie es in dem langwierigen Verfahren weitergeht. Es stellten sich nunmehr einige Rechtsfragen, die zunächst einmal der Klärung bedürfen. Möglicherweise sei ja eine Fortsetzung der Beweisaufnahme mit der Hörung etlicher Zeugen nicht mehr notwendig. „Auf die Schnelle ist dies aber nicht zu entscheiden“, so Zügler. Nach knapp einer Stunde mussten Stadtrat Herder sowie die Abgeordneten-Kollegen Annelise Podsadny (Die Linke), Karin Dorn und Jörg Bornack (beide SPD) also unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die bereits anwesenden Zeugen – Bernhard Bloemer, bis vor kurzem Aufsichtsratschef der Eon Thüringer Energie AG, die bekanntlich Anteile an den TWD hält, und Stadtwerke-Geschäftsführerin Hedwig Reiter – durften gleich mit nach Hause. Und Delitzschs Oberbürgermeister Heinz Bieniek (CDU), für den frühen Abend geladen, brauchte erst gar nicht gen Leipzig aufzubrechen. „Das hätten Sie ruhig mal drei Minuten früher sagen können“, zischte Richter Zügler dem Mörtl-Advokat zu, als die juristisch qualifizierten Prozessbeteiligten gerade ihre Roben abstreiften. Es habe sich um eine sehr kurzfristige Einigung gehandelt, bedauerte Rudolph. „Der Kollege hat uns eben erst auf dem Gang angesprochen.“ Mit „der Kollege“ war der neue Rechtsbeistand von SVG-Geschäftsführer Andreas Böhme gemeint, der Mörtl im Herbst 2005 als Folge der fristlosen Kündigungen durch TWD und SWD ebenfalls vor die Tür gesetzt hatte. „Die SVG wird meinem Mandanten eine Abfindung zahlen“, erläuterte Rudolph auf Anfrage der Kreiszeitung. Über die Höhe hätten beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Die neue Entwicklung ist schon deshalb von Belang, weil mit Beendigung des Streits Mörtl gegen SVG zwei Vorwürfe, mit denen TWD/SWD den Vertrauensbruch des heute 50-Jährigen untermauern wollten, für den Fortgang des Verfahrens keine Rolle mehr spielen. Erstens: die berühmte Russland-Reise mit Bärenjagd in der Taiga aus dem Sommer 2004, deren Kosten – rund 14.000 Euro – über die Abfallfirma aus Naundorf abgerechnet wurden und die laut dem damaligen SVG-Mit-Geschäftsführer Mörtl der Akquisition von Altholz fürs Delitzscher Biomassekraftwerk gedient habe. Zweitens: der nicht weniger berühmte zweite Dienstwagen, der überwiegend von Mörtls russischer Freundin gelenkt worden sein soll und den Kollege Böhme aber wohl doch genehmigte. Die Kammer hat überdies noch folgende Felder zu beackern. Erstens: Im Fall Mörtl gegen die Technischen Werke macht der im Jahr 2002 verschlafene Eintrag einer Satzungsänderung zum Gesellschaftervertrag beim Leipziger Handelsregister Probleme. Da die Satzung, die Kündigungsmodalitäten regelt, zum Zeitpunkt des Mörtl-Rauswurfes zwar „gelebt“ wurde, formaljuristisch aber gar nicht bestand, hat das Gericht letztlich zu prüfen, ob es sich hierzu eine Beweisaufnahme schenken kann. Zweitens: Im Streit Mörtl gegen die Stadtwerke stellt sich die Frage, ob zwischen den beiden Parteien überhaupt jemals ein Geschäftsführer-Vertrag geschlossen wurde und ob der Oberbürgermeister seinerzeit wirksam vertreten hat. Denn OBM Bieniek wird in dem Dokument sowohl als Gesellschafter, als auch als Aufsichtsratsvorsitzender geführt. Richter Zügler kommentierte diese in seinen Augen bemerkenswerten Umstände in bekannt zynischer Weise: „Was sich in Delitzsch abspielt, ist einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte.“ Vergleichende Fälle oder gar Muster-Urteile werden in der Fachliteratur bis heute jedenfalls nicht beschrieben. Leipziger Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, Seite 17, 14./15.07.2007
Leipziger Volkszeitung, LOKALES, Delitzsch-Eilenburg, 14./15.07.2007, Seite 17 Mörtl-Prozess: Neue Erkenntnisse, drei ReaktionenVon Dominic WeltersDelitzsch. Nein, damit habe er nicht gerechnet, kommentierte am Tag danach ein gelassen wirkender Jörn Otto das Geschehen vom Donnerstagnachmittag vor der 5. Kammer für Handelssachen am Leipziger Landgericht. Der Geschäftsführer der Technischen Werke Delitzsch (TWD) und Jens Gehlich, der neue Rechtsbeistand der TWD und der Stadtwerke im Streit mit dem am 23. September 2005 geschassten Lutz Mörtl, hatten im Vorfeld nicht den Hauch von Ahnung, dass sich Kläger Mörtl und „die Beklagte zu eins“ – sprich die Sortier- und Verwertungsgesellschaft (SVG) des Ex-TWD-Geschäftspartners Andreas Böhme aus Naundorf in Sachsen-Anhalt – auf eine Abfindung einigen könnten. Gehlich bemühte sich in Saal 439 sogleich um äußerliche Gelassenheit und ließ auf Empfehlung des Vorsitzenden Richters Hans-Joachim Zügler brav von einer von seinen Vorgängern angekündigten Widerklage ab. Und Otto sprach am Freitag davon, „dass das alles gar nichts heißen muss und dass es jetzt vielleicht sogar schneller geht – zu unseren Gunsten“. Ottos Optimismus stützt sich möglicherweise auf einen von den Technischen Werken im vorigen Jahr nachgeschobenen Kündigungsgrund. Danach soll Mörtl dereinst im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen zur gesetzlichen Altersvorsorge für TWD-Mitarbeiter Provisionszahlungen aus dem Hause Allianz kassiert haben. Das Thema, mit dem sich – das wurde gegen Ende der letztlich vertagten Verhandlungsrunde im Landgericht deutlich – die Dresdner Anti-Korruptionseinheit Ines seit 2006 beschäftigt, wurde von Richter Zügler nur kurz angetippt. Mörtl und sein Anwalt Markus Rudolph beeilten sich klarzustellen, dass die Zahlung des Großversicherers nicht dem einstigen Mehrfach-Geschäftsführer kommunaler Unternehmen gegolten habe, sondern dessen Lebensgefährtin. Diese habe zur Allianz ebenso in einem Anstellungsverhältnis gestanden wie zur Firma AR Abfall Recycling GmbH aus dem bayrischen Garching. Ein weiterer Vorwurf der TWD an die Adresse Mörtls lautet offenbar, unrechtmäßig Geld von der AR GmbH entgegengenommen zu haben. Auch dieser Punkt wurde von Zügler angesprochen. Und auch hier folgte der Hinweis, die Zahlungen seien an die russische Partnerin des Klägers gegangen. Zur Erinnerung: Das bayrische Unternehmen war seit 2004 Mit-Gesellschafter bei der von Mörtl ins Leben gerufenen Holzkontor Sachsen GmbH, die das Altholz fürs gerade verkaufte Biomassekraftwerk (BMKW) in Delitzsch-Südwest organisiert und herbeischafft.
Ohrenzeuge Jörg Bornack von der SPD-Fraktion im Delitzscher Stadtrat überraschten diese Informationen ebenso wie die Vorsitzende der Linke-Fraktion, Annelise Podsadny, und deren Kollegen Wolfgang Herder. Die drei bewerteten den Stand des Verfahrens hinterher ganz ähnlich. „Im Mittelpunkt der richterlichen Entscheidung bis zum nächsten Termin am 17. August stehen jetzt die einzigartigen Fehler des CDU-Oberbürgermeisters und Aufsichtsratvorsitzenden Heinz Bieniek. Bald werden wir erfahren, ob Mörtl sich auf eine Abfindung im sechsstelligen Bereich freuen kann oder vielleicht gar kein Geschäftsführer war und der vorherige Aufsichtsrat nicht rechtskräftig existierte, Mörtl damit gar nicht entlassen werden musste“, sagte Bornack. Er frage sich gerade, was denn dann mit all den Beschlüssen zum BMKW war, „das Delitzsch einen Schaden von über zehn Millionen Euro eingebracht hat. Gab es womöglich nicht einen rechtsgültigen Beschluss des TWD-Aufsichtsrates?“ Die Konsequenzen, so der Sozialdemokrat, wären nicht absehbar. „Rechtsanwälte werden weiter in Delitzsch Großverdiener bleiben und wir Bürger zahlen die Zeche für die Suppe, die Bieniek uns eingebrockt hat“, meinte er. Für Annelise Podsadny befindet sich die Stadt nunmehr erst recht „in des Richters Hand“. Das Kündigungsgrund-Gerüst der beklagten kommunalen Betriebe breche allmählich zusammen. Das erfülle sie mit Sorge. „Wir können von Glück reden, wenn Herr Zügler entscheidet, es habe keinen Geschäftsführer-Vertrag mit Mörtl gegeben. Dann bleibt diesem nur noch sein Angestellten-Kontrakt mit den TWD“, sagte die Linkspolitikerin mit Blick auf die nicht mehr entscheidungsrelevanten Vorwürfe Bärenjagd und Dienstwagen Nummer zwei. „Erbost und sauer“ war Wolfgang Herder. „Ich befürchte, Mörtl kassiert nicht nur von der SVG eine Abfindung, sondern auch von uns.“ Leipziger Volkszeitung, DELITZSCH und UMGEBUNG, Seite 19, 14./15.07.2007 |