Munition für den Wahlkampf

Wie die sächsischen Parteien versuchen, mit der Korruptionsaffäre Stimmung zu machen

Von SVEN HEITKAMP und JÜRGEN KOCHINKE

Dresden. Als vor sieben Wochen die ersten Berichte über kriminelle Netzwerke in Sachsen erschienen, war die Reaktion weitgehend moderat. Es gab kleinere Anfragen und vorsichtige Statements zum Thema, mehr aber nicht. Wenige Tage später eskalierte die Lage. Gerüchte über Verstrickungen von hohen Politikern sowie Justiz- und Polizeibeamten mit der Rotlicht- und Immobilienszene verdichteten sich, hinzu kamen Panikreaktionen der Politik. Die Affäre nahm ihren Lauf. Längst haben auch die Parteien im Freistaat deren Brisanz für sich entdeckt und versuchen, ihr taktisches Süppchen darauf zu kochen – Munition für den Wahlkampf 2009.

Probleme der SPD

Dabei hat sich die Stoßrichtung geändert. Während sich die Debatte in den ersten Wochen noch um Details aus den Geheimakten des Verfassungsschutzes drehte, hat die Korruptionsaffäre längst die Ebene der Politisierung erreicht. Nicht mehr die Frage, welche Kreise wann in welchem Bordell waren oder sich sonst wie erpressbar gemacht haben könnten, steht im Mittelpunkt, sondern warum Akten geschreddert wurden – und wer die Verantwortung dafür übernimmt.

Image-Nöte der CDU

Das ist das Problem der Union in Sachsen. Mit dem Innen- und Justizminister stellt sie gleich zwei Ressortchefs im Sicherheitsbereich, und beide geben derzeit ein – mehr oder weniger – schlechtes Bild ab. Vor allem aber kämpft die CDU um ihr Image. Als zentrales Politikfeld gilt die Innere Sicherheit, offenkundige Schwächen hier sind politisch höchst heikel. So kontert sie mit eigenen Vorstößen: Laut denkt zum Beispiel Fraktionschef Fritz Hähle über eine Änderung der Landesverfassung nach, um den Geheimdienst nach dem Stopp 2006 wieder auf die Organisierte Kriminalität (OK) ansetzen zu können. Darüber hinaus garnieren CDU-Spitzen wie Generalsekretär Michael Kretschmer ihre Forderungen auch gern mal mit dem Hinweis, der Schwerpunkt krimineller Netzwerke liege in Leipzig.

Das zielt parteitaktisch auf den kleineren Koalitionspartner, die SPD. Schließlich gilt Leipzig als rote Hochburg in Sachsen, und zwei der bekanntesten SPD-Politiker im Osten – Wolfgang Tiefensee und Burkhard Jung – sind als ehemaliger und aktiver OBM mit der Messestadt verbunden. Eben dies ist der Hintersinn der Drohgebärde von Kretschmer: Die SPD sitze im Glashaus und sollte es sich überlegen, ob sie sich auf schwächelnde CDU-Minister einschießt. Dabei kann als gesichert gelten, dass nicht nur die Namen von hochrangigen SPD-Politikern in den geheimen Dossiers auftauchen, sondern auch die von Leipziger CDU-Regionalgrößen – wenn auch nur von solchen der dritten Reihe.

Diese Gemengelage hält die SPD nicht davon ab, die CDU weiter zu nerven. So drohte die SPD-Führungsspitze Anfang der Woche mit einem vorzeitigen Bruch der Koalition unter Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Die Absetzbewegung hat Kalkül: Die SPD will nicht in Mithaftung genommen werden für die massiven Vorwürfe gegen die Regierung. Die Kraftmeierei der mit nur 9,8 Prozent gewählten Partei ist zwar mittlerweile verpufft, doch die Stoßrichtung zielt klar auf Wähler und Genossen. So war von der SPD in der Affäre bis auf vereinzelte Kritik nicht viel zu vernehmen. Die Aufklärer gaben andere – die Linke, vor allem, aber auch Grüne und FDP.

Für die Opposition ist die Korruptionsaffäre ohnehin ein gefundenes Fressen. Sie wirft der Regierung Versagen bei der Bekämpfung krimineller Netzwerke vor und plant einen Untersuchungsausschuss. Das „Folterinstrument“ der Opposition wird nächsten Mittwoch im Landtag beschlossen.

Spielfeld der Opposition

Ein 14-seitiger Fragenkatalog liegt bereits vor, die Ergebnisse dürften bis 2009 reichlich Munition liefern. Zwar bahnt sich Streit um die beiden stasibelasteten Linksfraktionäre Klaus Bartl und Volker Külow als mögliche Mitglieder des Untersuchungsausschusses an. Dennoch hat die Linke die beste Ausgangslage, um die Affäre politisch zu nutzen.

Das liegt an ihrer Rolle. Während nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch ein FDP-Politiker (im Vogtland) sowie ein Ex-Grüner (in Leipzig) in dubiosen Netzwerken mitgemischt haben, ist die Linke fein raus – ohne eigenes Zutun allerdings. Dass sich nach derzeitigem Stand kein Ex-PDSler in den Akten findet, liegt schlicht daran, dass die Partei meist wenig zu verteilen hatte. Damit dürfte sie für kriminelle Strippenzieher weitgehend uninteressant geblieben sein – was die Affäre für sie zum Wahlkampfschlager bis 2009 macht.

Leipziger Volkszeitung, Sachsen und Mitteldeutschland, Seite 4, 30.06./01.07.2007


INTERVIEW


„Volksverdummung oder Schlamperei“

Einstiger Geheimdienstmitarbeiter Juretzko bezweifelt wirkliche Vernichtung der Verfassungsschutzakten

Norbert Juretzko

Leipzig. Die Berichte über Aktenvernichtung hält Norbert Juretzko für Volksverdummung. Der heutige Buchautor („Bedingt dienstbereit“, „Im Visier“) war 15 Jahre Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes.

Frage: Gibt es Parallelen zwischen der Aktenvernichtung bei Bundeswehr und Verfassungsschutz?

Norbert Juretzko: Ich habe im Moment den Eindruck, dass die Geheimdienste auf ein sehr simples Mittel zurückgreifen, um einfach keine Auskunft zu erteilen, wenn es unangenehm wird. Man sagt, Akten seien verschwunden, oder Daten seien gelöscht. Das ist die einfachste Variante.

Die Begründungen klingen dubios, es wäre aus Versehen passiert…

Dieses Niveau ist ein Beleg dafür, wie die Dienste heute mit der Öffentlichkeit und mit der Politik umgehen. Sie scheuen sich nicht, alle für dumm zu verkaufen. Jeder weiß, dass in jeder großen Firma – als solche dürfen Bundeswehr und Verfassungsschutz sicher gelten – in Computersystemen alles doppelt und dreifach gespeichert ist. Selbst wenn eine Datei gelöscht wurde, kann man sie wiederherstellen. Und es schmeißt doch keiner ganze Akten in den Schredder. Bei Nachrichtendiensten gilt das Vier-Augen-Prinzip. Mindestens zwei Leute sind anwesend, wenn etwas vernichtet wird. Also müssen schon mindestens zwei Beamte geschlafen haben. Oder es war absoluter Vorsatz.

Sind die Akten wirklich verloren?

Ich halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Erkenntnisse einfach weg sind. Komischerweise verschwinden immer die Dinge angeblich, wo Nachrichtendienste eine schlechte Figur machen, über ihre Befugnisse hin- ausgegangen sind.

Haftet ein Innenminister für Fehler des Verfassungsschutzes?

Natürlich. Entweder er haut wirklich dazwischen oder er muss seinen Hut nehmen. Es kann ja nicht sein, dass die Verfassungsschützer machen, was sie wollen. Sie können nicht ein- fach behaupten, dass Akten gelöscht sind, wenn die Medien ihnen bei illegalem Treiben auf die Schliche kommen. Es ist entweder Volksverdummung, wenn behauptet wird, dass Akten vernichtet wurden. Oder es ist Schlamperei, wenn tatsächlich etwas weggekommen ist.

Kann es sein, dass es Verfassungsschutzdossiers nur auf Papier gibt?

Nein. Sowas wird doch mit dem Computer geschrieben. Die Autoren behalten eine Kopie für sich selbst, um belegen zu können, was sie wirklich geschrieben haben. Außerdem wird doch nicht ermittelt, um dann die Erkenntnisse zu entsorgen. Dann muss es bei Staatswanwaltschaft und Polizei weitergehen. Ein Dienst sammelt nicht zum Selbstzweck.

Welche Kontrolle, welcher Schutz ist nötig, damit das nicht mehr passiert?

Es muss vor allem für Mitarbeiter, die sehen, dass etwas faul ist, einen neutralen Beschwerdeweg geben, den sie ohne Angst vor persönlichem Nachteil gehen können. Es gibt dieses Beschwerdesystem nicht, wie es auch keine funktionierende Kontrolle gibt. Im Ergebnis gehen Geheimdienstmitarbeiter in ihrer Not in die Illegalität, wenden sich an die Medien. Sie sehen keine andere Möglichkeit, die Dinge ordentlich zu klären. Sie nehmen dabei in Kauf, dass sie sich strafbar machen.

Glauben Sie, dass die Akten über die Korruptions-Affäre in Sachsen auf Hirngespinsten beruhen?

Ach, es setzt sich doch kein Verfassungsschutzmitarbeiter hin und denkt sich vor Langeweile etwas aus. Schon gar nicht eine Geschichte, die ein paar tausend Seiten füllt. In weiten Zügen wird das stimmen, was die Akten sagen. Es gibt einen realen Hintergrund. Zumal unterschiedliche Quellen gleichlautend berichten. Ich würde den Ermittlern dort grundsätzlich Redlichkeit unterstellen. Die haben ordentliche Arbeit geleistet.

Interview: Andreas Friedrich

Leipziger Volkszeitung, Sachsen und Mitteldeutschland, Seite 4, 30.06./01.07.2007


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