„Die wollten mich mundtot machen“Sachsen-Sumpf: Leipziger Kommissar über dubiose Verbindungen der Justiz ins RotlichtmilieuVon ANDREAS FRIEDRICH und JÜRGEN KOCHINKELeipzig/Dresden. Im Polizeialltag mag es normal sein, wenn sich ein Anfangsverdacht nicht bestätigt und Ermittlungen ins Leere laufen. Das gehört zum Berufsrisiko. Wenn allerdings an die 50 Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) bei ihren Kollegen von der Leipziger Kriminalpolizei einfallen und Büros und die Wohnung eines Hauptkommissars durchsuchen, als handele es sich um Schwerverbrecher, sollte das mehr Konsequenzen haben als ein Schulterzucken. Vor allem, wenn drei Beamte neun Monate vom Dienst suspendiert waren. Der offizielle Vorwurf gegen den Kripo-Beamten Georg Wehling hieß Strafvereitelung im Amt. Wehling ermittelte mit zwei Kollegen gegen die Organisierte Kriminalität (OK) in Leipzig – und stieß dabei auf dubiose Verbindungen von Justizbeamten ins Rotlichtmilieu. Im Zentrum standen nicht zuletzt Wohnungen in Leipzig-Möckern, die als Bordell betrieben wurden, in dem Minderjährige – zumeist Jungen aus Tschechien – missbraucht worden sein sollen. Hier taucht der Name Club Rose auf, und der Verdacht lautete: Menschenhandel. Die OK-Beamten ließen die Telefone der Verdächtigen überwachen. Bevor sich der Fall aber klären ließ, waren die mutmaßlichen Täter aus der Rotlichtszene verschwunden. Deshalb vermuten die Verfassungsschützer in ihrem internen Dossier, dass sie intern einen Tipp erhalten haben – im Frühjahr 2002, vom damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt R. (wir berichteten). Doch nicht hier wurde weiter ermittelt, sondern gegen Wehling. Der Vorwurf gegen ihn lautete: Der Leipziger habe auf eigene Faust mit V-Leuten im Milieu gearbeitet. Erklärungsbedürftig aber ist ein Detail: So wurden nach der LKA-Razzia offensichtlich die Handys der OK-Beamten ausgelesen, darunter befanden sich auch die Kontaktnummern der Informanten. Genau diese Daten aber sollen später in Prozessakten wieder aufgetaucht sein. Die Folgen waren fatal. Die hochgeheimen Quellen waren somit enttarnt und die Leipziger OK-Ermittler faktisch kaltgestellt. „Die wollten mich mundtot machen“, sagte Wehling gestern Abend im ZDF-Magazin Frontal 21. Der heute 53-Jährige ist inzwischen voll rehabilitiert. „Es wurden in neun Vorwürfen Ermittlungsverfahren gegen ihn angestrengt, acht wurden eingestellt. Einer wurde angeklagt. Dafür gab es einen klassischen Freispruch“, sagt Wehlings Anwalt Rainer Wittner gegenüber dieser Zeitung. Nun ist nur noch ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Dresden anhängig, bei dem es um die Tilgung jeglicher Andeutungen auf Verfehlungen in Wehlings Beamtenlaufbahn wegen der einstigen Vorwürfe geht. Beim LKA zuckt man heute mit den Schultern. „Es ist Teil der Ermittlungsarbeiten, dass sich ein Anfangsverdacht manchmal nicht bestätigt. Ein Tatverdächtiger ist eben manchmal keiner“, sagt LKA-Sprecherin Christin Gerull gegenüber dieser Zeitung. Zwei Ermittlungsbeamte waren im Jahr 2002 von einem Strafgefangenen zudem beschuldigt worden, mit Falschaussagen Georg Wehling zu diskreditieren. Dafür sollte er ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Dieser Zeuge, ein ehemaliger Rauschgiftkurier, von dem sich Wehling Informationen über einen Drogenring erhoffte, hatte in der Korruptionsaffäre bereits vor Tagen den Vorwurf erhoben, zu Falschaussagen gedrängt worden zu sein. „Er hat dazu eine eidesstattliche Erklärung abgegeben“, bestätigt Rechtsanwalt Rainer Wittner. Der Drogenkurier hatte die LKA-Beamten wegen Aussageerpressung angezeigt. Die revanchierten sich mit Anzeigen wegen falscher Verdächtigung. Die Verfahren wurden 2003 eingestellt. Da der einstige Drogenkurier ohnehin eine Haftstrafe abzusitzen hatte, verfolgte man den Vorwurf wegen geringer Auswirkung im Strafmaß offensichtlich nicht weiter. Sollte die Behauptung weiter aufrechterhalten werden, könnte es seitens der Beamten zu neuen Anklagen wegen falscher Verdächtigung kommen, verlautet aus dem LKA. Oder es passiert wieder nichts, weil an den Anschuldigungen des einstigen Kripo-Informanten doch etwas dran ist. Leipziger Volkszeitung, Sachsen und Mitteldeutschland, Seite 5, 20.06.2007
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