„Es fehlt an Professionalität und Kreativität“Die Freien-Wähler-Stadträte Wolf-Dietrich und Franziska Koch über Delitzschs Kommunalpolitik und Thalheim bei WolfenD e l i t z s c h. Allmählich wird es ernst: Nach der Verabschiedung des Haushalts 2007 geht es in diesen Tagen einmal mehr um die künftige Struktur der kommunalen Betriebe und am 4. April in einer Sondersitzung des Stadtrates um den Verkauf des Biomassekraftwerks (BMKW). Welche Haltung nehmen die vier im Plenum vertretenen Parteien zu diesen und anderen Themen ein? Nach CDU, Linkspartei und SPD kommt heute die Freie Wählergemeinschaft (FWG) zu Wort. Ein Interview mit Fraktionschef Wolf-Dietrich Koch und der zweiten FWG-Abgeordneten Franziska Koch. Foto: Manfred Lüttich
Frage: Was ist eigentlich ein freier Wähler? Franziska Koch: Zunächst mal ein durch und durch parteiunabhängiger Mensch, der, wie das Adjektiv schon sagt, keiner Partei angehört. Ein Abgeordneter einer Freien Wählergemeinschaft vertritt die Wähler seiner Region, arbeitet also in erster Linie kommunal- und regionalpolitisch und ist nicht, wie bei Parteien üblich, von übergeordneten Kreis-, Landes- oder Bundesverbänden und deren Doktrinen abhängig. Wolf-Dietrich Koch: Es gibt bei uns zwar auch einen Bundesverband und auch Landesverbände, aber anders als bei den Parteien beruht die Mitgliedschaft auf freiwilliger Basis. Es existiert also keine Parteihierarchie, uns redet keiner von oben rein. In Sachsen, vor allem im Görlitzer, Bautzener und im vogtländischen Raum, haben die Freien Wähler eine ziemlich starke Position, es gibt jede Menge Bürgermeister aus unseren Reihen. Daher kommt bei den Freien im Freistaat schon seit längerem immer mal wieder die Diskussion hoch, mit Blick auf kommende Landtagswahlen vielleicht doch eine Partei zu gründen. Wie es momentan ausschaut, wird es aber beim Status quo bleiben. Für uns gibt es dadurch keine Wahlkampfgelder, die im Übrigen Steuermittel sind. Wir wollen diese Gelder auch gar nicht, um unsere Unabhängigkeit nicht zu verlieren. Zumal wir bei der Bürgermeisterwahl in Bad Düben gerade gezeigt haben, dass mit Wenig viel geht und bei Viel manchmal nur wenig rauskommt. Entscheidend sind die Argumente. Es geht auch ohne Luftballons. Zerrieben zwischen den Fronten oder mit einem eigenen Profil ausgestattet: Wie fühlen Sie sich so als kleinste Fraktion im Stadtrat? Wolf-Dietrich Koch: Ich hoffe doch sehr, dass wir ein eigenes Profil haben. Unser Problem nach der letzten Kommunalwahl 2004 war, dass uns mit Matthias Heimann ein Zugpferd verloren gegangen ist. Es hat damals an einer Stimme gefehlt, sonst säßen wir heute zu dritt im Stadtrat. Das Problem, das wir in Delitzsch haben, ist die absolute Mehrheit der CDU. Linkspartei, SPD und FWG zusammen kommen gegen die Christdemokraten nicht an. Dadurch ist die Arbeit im Vergleich zu vorhergegangenen Wahlperioden insgesamt schon schwieriger geworden. Deshalb habe ich mich in jüngerer Vergangenheit auch häufiger über die Sozialdemokraten beklagt, die mir mit ihrer auf Dauerkritik ausgerichteten Oppositionshaltung viel zu fundamentalistisch und zu wenig konstruktiv sind. Letzten Endes können wir uns alle auf den Kopf stellen: Wenn die CDU etwas anders will als wir, dann zieht sie das durch. Franziska Koch: Ein großer Nachteil ist auch, dass ich aufgrund der gegenwärtigen Sitzverteilung im Plenum kein Anrecht auf eine Mitgliedschaft in einem Ausschuss habe. Unser Fraktionschef sitzt im Bauausschuss, das war’s dann aber auch. Dadurch können wir nie so intensiv mitarbeiten wie die großen Fraktionen. Und in einer parlamentarischen Demokratie werden die Weichen nun mal in den Ausschüssen gestellt. Andernorts, da, wo Strukturen in der Kommunalpolitik arg verkrustet sind, sagen Freie Wählergemeinschaften mit Vorliebe Klüngel und Vetternwirtschaft den Kampf an. Diesbezüglich hören wir von Ihnen weniger. Alles sauber in Delitzsch? Franziska Koch: Das Problem sind nicht Klüngel und Vetternwirtschaft, sondern es ist der Filz, der automatisch entsteht, wenn jemand lange, zu lange an der Macht ist. Diese Leute können über Jahre ihre Netze spinnen und machen es sich darin irgendwann bequem. Dabei spielt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei keine Rolle. Das läuft leider überall so. Wolf-Dietrich Koch: Dass Strukturen verkrusten, scheint mir auch ein menschliches Problem zu sein. Leute mit Macht und Einfluss lassen automatisch irgendwann nur noch die an sich ran, die ihnen Recht geben. Was mir in Delitzsch momentan fehlt, ist die sachlich-kritische Diskussion außerhalb des normalen politischen und verwaltungstechnischen Tagesgeschäftes. An wen richtet sich diese Kritik? Wolf-Dietrich Koch: Wir haben momentan den Eindruck, dass das Beratungsteam des Oberbürgermeisters nicht unbedingt das beste ist. Im Rathaus mangelt es an Professionalität. Franziska Koch: Ein Oberbürgermeister kann logischerweise nicht von allen Dingen Ahnung haben, nicht überall zu 100 Prozent im Stoff stehen. Deshalb braucht er ausgewiesene Fachleute, die ihn beraten. Genau hier setzt unsere Kritik an. Es werden zu oft falsche oder zu kurzsichtig gedachte Entscheidungen getroffen. Wann zuletzt? Wolf-Dietrich Koch: Wir plagen uns ja nun schon seit zwei Jahren mit einer falschen Entscheidung herum. Ein Biomassekraftwerk ohne Abwärmenutzung zu installieren, das funktioniert einfach nicht. Dann meinten einige in Delitzsch auch noch, man müsse sich selber um die Holzbeschaffung kümmern. So etwas gehört in die Hände von Profis, zumal auf dem Altholzsektor, wie heißt es doch so schön, die Mafia regiert. Das ist ein eiskaltes Geschäft. Da sind wir rangegangen, als sei dies mit links zu machen. Da haben sich einige aber ganz gewaltig verhoben. Droht die nächste falsche Entscheidung, wenn die künftige Struktur der kommunalen Betriebe, wie von der Verwaltung von Beginn an favorisiert, tatsächlich die Auflösung der Stadtwerke Delitzsch (SWD) als Holding und den Anschluss der Technischen Werke Delitzsch (TWD) an die Wohnungsgesellschaft beinhalten sollte? Wolf-Dietrich Koch: Auf Antrag der Linkspartei-Fraktion ist gerade entschieden worden, noch einmal gründlich zu prüfen, ob wir die Stadtwerke nicht besser doch als konzernleitende Holding bestehen lassen und sogar stärken. Wie denken Sie darüber? Wolf-Dietrich Koch: Ich bin dafür. Franziska Koch: Wir sind dafür. Warum? Wolf-Dietrich Koch: Wir brauchen ein übergeordnetes Controlling. Ein Firmengeflecht, das neben Töchterfirmen auch noch Enkelunternehmen zulässt, lehnen wir allerdings ab, weil es für die Stadträte zu undurchsichtig ist. Letztlich sind wir als Hobby-Politiker Laien. Ich hoffe, dass Wirtschaftsprüfer Jörg Huse, der bekanntlich im Auftrag des Oberbürgermeisters die gegenwärtige Struktur begutachtet und die berühmten vier Varianten vorgeschlagen hat, sich mit der PDS-Initiative ernsthaft auseinandersetzt. Da gibt es ja einiges zu berücksichtigen. Steuerrechtliche Dinge zum Beispiel. Jetzt haben wir mehr als ein Jahr gebraucht in der Strukturdebatte, jetzt kann es auch noch April werden. Übrigens bin ich mir gar nicht so sicher, ob die derzeitige Struktur als solche nicht stimmt oder ob die Liquiditätsprobleme des Stadtwerke-Konzerns nicht vielmehr ihre Ursache in der Leitung haben. Worauf wollen Sie hinaus? Wolf-Dietrich Koch: Ich bin von Hause aus diplomierter Bauingenieur, also Techniker. Es sind überall Leute als Geschäftsführer eingesetzt, die Betriebswirtschaft oder ähnliches studiert haben. Soll alles so sein, aber es braucht darüber hinaus auch gute Ingenieure in den Chefetagen. Nehmen wir die Kostenexplosion bei der Energiebereitstellung, die uns TWD-Geschäftsführer Jörn Otto im nächsten Stadtrat erläutern will. Für mich drängt sich aufgrund dieser Entwicklung die Frage auf: Wie dezentralisiere ich? Ich denke da an Kraft-Wärme-Kopplung für einzelne Wohngebiete. Dafür haben wir in Delitzsch im Moment nur das Heizkraftwerk in der Sachsenstraße, das Kunden verliert und bei dem sich TWD und Wohnungsgesellschaft in gewisser Weise selbst im Wege stehen. Wir hätten ja auch mal über Folgendes nachdenken können: Wir haben ein Fernwärmenetz, das zwar ertüchtigt werden müsste, aber das vorhanden ist. Durch dieses Netz leite ich die Abwärme des Biomassekraftwerks, verkaufe also nicht nur Strom, sondern auch Wärme. Ich muss doch am Ende eine vernünftige Energiebilanz aufmachen können. Es bringt unterm Strich nichts, um ein anderes Bild zu bemühen, wenn ich auf einem Hektar Acker 1000 Liter Rapsöl ernten kann, aber allein schon 150 Liter Diesel benötige, um die Fläche beflügen zu können. Nun steht das Biomassekraftwerk, die vermeintliche Gelddruck-Maschine, zum Verkauf, aus Ihrem Gedankenmodell wird wohl nichts mehr werden. War es aus heutiger Sicht richtig, die Eon-Firmen Thüringer Energie und Energy Projects als Mitgesellschafter in die BMKW GmbH zu holen? Kritiker sagen, Eon lacht sich gerade mächtig ins Fäustchen, weil es beim anstehenden Verkauf die wenigsten Federn lässt. Wolf-Dietrich Koch: Kommunal geleitete Unternehmen, die mit Firmen aus der Marktwirtschaft kooperieren, das halte ich grundsätzlich für problematisch. Da prallen verschiedene Denkmuster aufeinander. Das privatrechtliche Unternehmen will in erster Linie Geld verdienen, der städtische Betrieb muss immer auch die Daseinsvorsorge für die Bürger im Blick haben. Das passt irgendwie nicht. Franziska Koch: Ich fürchte, da sind wir wieder bei der mangelnden Professionalität. Bei der einsamen Entscheidung durch die Rathausspitze und den einstigen TWD-Geschäftsführer Lutz Mörtl, das BMKW zu bauen, ist vermutlich nicht von allen Seiten beleuchtet worden, worauf sich die Stadt bei dem Projekt einlässt. Ich habe nicht das Gefühl, dass damals mit der gebotenen Sorgfaltspflicht gehandelt worden ist. Jetzt ist es für eine Kurskorrektur leider zu spät. Wolf-Dietrich Koch: Da würden mir jetzt noch andere Beispiele einfallen. Als es nach der Wende um die Sanierung des Freibades ging, hat es im Bauausschuss genügend Leute gegeben, die haben für Solartechnik geworben, wollten Projektierungsarbeiten selber machen und dafür nicht mal einen Pfennig sehen. Was ist geschehen? Seitens der Stadtverwaltung wollte niemand was davon wissen. Sind Sie da nicht auch ein wenig selber schuld. Wenn die kritischen Geister im Stadtrat eine Phalanx bilden würden, und kritische Geister gibt es auch in der CDU, dann sähe vielleicht manches anders aus. Sind Delitzscher Stadträte unfähig zu Kompromissen? Wolf-Dietrich Koch: Meine Meinung über die SPD ist bekannt, da wird mir seit geraumer Zeit zu viel rückwärts und zu wenig vorwärts diskutiert. Es ist leider schon häufiger vorgekommen, dass aus den Reihen der Sozialdemokraten, die durchaus gute Leute haben, Abgeordnete zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt Grundsatzdiskussionen anzetteln, die oftmals nur dazu führen, dass wir uns bei der Lösung von Sachfragen verzetteln. Die einzigen, die ausrechenbar sind, sind die Linkspartei und die CDU. Franziska Koch: Wobei die CDU das Problem hat, eine reine Gefolgschaft zu sein. Nur in Pausengesprächen bekomme ich mit, dass tatsächlich einigen der Bauch schmerzt. Bei der Verbeamtung von Rechtsamtsleiterin Beate Miketta war es das erste Mal, seit ich im Stadtrat bin, dass Christdemokraten einer Beschlussvorlage des Oberbürgermeisters oder der Stadtverwaltung widersprochen haben. Abgesehen von Ralf Krippner, der schon einige Male auf den Tisch gehauen hat, kommt vom Rest so gut wie nichts. Das finde ich sehr bedauerlich, denn auch die CDU hat gute Leute. Würde die einstige Fraktionsgemeinschaft von CDU und FWG noch existieren, hätten Sie beim Widersprechen ein wenig nachhelfen können. Wolf-Dietrich Koch: Wir haben diese Vereinbarung aufgekündigt, weil es in gemeinsamen Fraktionssitzungen mitunter zuging wie in der FDJ-Versammlung. Ein fruchtbares Diskussionsklima herrschte selten. Das wollten wir uns nicht noch einmal antun. Ich fürchte, mittlerweile halten es zu viele bei der CDU mit August dem Starken und denken sich: „Macht doch Euren Dreck alleene.“ Im Zuge des jüngsten Haushaltsbeschlusses haben Sie eine Arbeitsgruppe angeregt, die sich Gedanken darüber machen soll, wie Delitzsch zu mehr Gewerbesteuer kommt. Wie entstehen denn nun blühende (Industrie-)Landschaften? Wolf-Dietrich Koch: Die Geschichte der städtischen Wirtschaftsförderung ist bis heute leider keine Erfolgsstory. Das einstige Referat von Klaus Stern stand mehr oder weniger ohne Geld da, hat sich ins Internet eingeklinkt und vergeblich auf den großen Wurf gewartet. So eine Gruppe, wie ich sie vorgeschlagen habe, hat es schon mal gegeben, ich war ja selbst dabei. Der Sinn war, die Aktivitäten der verschiedenen Gewerbegebiete in und um Delitzsch zusammenzuführen, Synergien herzustellen. Dann hat es Streit mit Delitzsch-Südwest gegeben und die Sache war beendet. Später fand ich es durchaus sinnvoll, dass Stadtwerke-Geschäftsführerin Yvonne Bargatzky-Bender Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung bei den SWD ansiedeln und auf qualifiziertere Füße stellen wollte. Dann wurde das alles im vergangenen Jahr wieder rückgängig gemacht und Herr Ackermann im Rathaus installiert. Mal sehen, ob wir es mit ihm schaffen, nicht länger hinterherzuhinken. Andere machen uns vor, wie es geht. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Thalheim bei Wolfen, hat sich mit der Q-Cells AG der weltweit zweitgrößte Hersteller von Solarzellen niedergelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Infrastruktur von Thalheim besser ist als die von Delitzsch. Klappern gehört zum Handwerk. Als sich in Leipzig die Biocity abzeichnete, habe ich vorgeschlagen, zu den dortigen Verantwortlichen Kontakt aufzunehmen, junge Unternehmen, die Zukunftstechnologien entwickeln, für Delitzsch zu interessieren. Das Problem damals wie heute: Irgendetwas geht immer nicht. Franziska Koch: Weil es nicht nur an Professionalität, sondern auch an Kreativität fehlt. Eine gute Mischung an alten Hasen und jungen Wilden täte der Delitzscher Stadtverwaltung gut. Interview: Dominic Welters Leipziger Volkszeitung, DELITZSCH und UMGEBUNG, 19. März 2007, Seite 20 |