Tschense – kein AmtsmissbrauchStaatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Ex-Bürgermeister und Mitarbeiter des Ordnungsamtes einEs hat lange gedauert. Im März 2004 erhielt die Antikorruptionseinheit Ines einen anonymen Brief, in dem Leipzigs damaliger Ordnungsbürgermeister Holger Tschense (SPD) schwerer Vergehen bezichtigt wurde. Es ging um Falschparken, Raserei und das Überfahren einer roten Ampel. Der Anonymus behauptete, Tschense habe jahrelang untergebene Mitarbeiter benutzt, um seine eigenen Ordnungswidrigkeiten sowie die von Freunden milde oder gar nicht zu bestrafen. Vorteilsnahme im Amt und Anstiftung zur Rechtsbeugung hieße das im Juristendeutsch. Gestern teilte die Leipziger Staatsanwaltschaft mit, dass das Ermittlungsverfahren gegen den längst abgewählten Bürgermeister ohne Anklage eingestellt wurde. Trotz umfangreicher Untersuchungen von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt gebe es „keine sicheren Beweise“ dafür, dass Tschense seine Amtsstellung missbraucht hat, erklärte Behördensprecher Ricardo Schulz. „Die Ermittlungen waren schwierig, weil zurückliegende Verfahren aufgrund der für Ordnungswidrigkeiten geltenden Löschfristen nur noch fragmentarisch oder in elektronischer Form vorlagen“, sagte der Staatsanwalt. Eine eindeutige Rekonstruktion der zur Last gelegten Verfehlungen sei „nicht mehr möglich“. Einige der Fälle seien überdies schon verjährt gewesen. Schließlich habe es tatsächlich Bußgeldverfahren gegeben, die zu Gunsten Tschenses entschieden wurden. Allerdings hätten sich da „keine hinreichenden Beweise für eine Rechtsbeugung“ gefunden, so Schulz. Im Ergebnis stellte die Staatsanwaltschaft auch die Ermittlungsverfahren gegen die früheren Ordnungsamtsleiter Günther Wassermann und Norbert Beital ein, gegen die Tschense-Vertraute und Abteilungsleiterin Claudia Geißler-Ploog sowie vier weitere Mitarbeiter des Amtes. Dass die Untersuchungen fast drei Jahre lang dauerten, lag auch am anfänglichen Nichtstun der Behörden. Erst nachdem Zeitungen im Sommer 2005 über etliche Verstöße Tschenses gegen Autofahrverbote berichtet hatten, gewann das Rechtsbeugungsverfahren an Schwung. Die Ermittler beschlagnahmten nun Unterlagen und Computerdateien im Ordnungsamt. Wie die Stadt gestern betonte, seien „Schwachstellen in den Arbeitsabläufen“ bereits 2005 beseitigt worden. „Es wurde sichergestellt, dass nicht unautorisiert in Verfahrensabläufe eingegriffen werden kann“, erklärte Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller (SPD). Tschense weilte gestern im Ausland und war nicht zu erreichen. Erst am Donnerstag hatte er der LVZ gesagt, die Ermittler hätten kein einziges Mal mit ihm gesprochen. „Ich hoffe, der ganze alte Rattenschwanz ist bald weg, damit ich neu anfangen kann“, meinte der 43-Jährige, der heute als freiberuflicher Unternehmensberater arbeitet. Tschense wurde im Oktober 2005 wegen 57 Verstößen gegen Fahrverbote vom Stadtrat seines Amtes enthoben. Weil er sich immer wieder ohne gültigen Führerschein hinters Lenkrad setzte, hatte er zuvor einen Strafbefehl über 24.000 Euro erhalten. Gegen ihn läuft jetzt noch ein Disziplinarverfahren beim Regierungspräsidium, das während der staatsanwaltlichen Ermittlungen unterbrochen war. Ein schneller Abschluss des Disziplinarverfahrens könnte Auswirkungen auf seine Ruhebezüge (bis September 2008 monatlich 4700 Euro brutto) haben. Der ebenfalls abgewählte Ex-Amtsleiter Norbert Beital, einst Intim-Feind Tschenses, erklärte gestern: „Ich habe keinen anderen Ausgang des Verfahrens erwartet.“ Beital arbeitet heute als Rechtsanwalt. Frank Döring / Jens Rometsch Leipziger Volkszeitung, LEIPZIG, Seite 13, 20./21.01.2007 |