Marathon-Sitzung im Fall MörtlViele Fragen zur Bärenjagd und weiteren Kündigungsgründen / Fortsetzung im MärzVon DOMINIC WELTERSLeipzig. Mit der Befragung von elf Zeugen ist die Kündigungsschutzklage Lutz Mörtl gegen die Stadtwerke Delitzsch, die Technischen Werke Delitzsch (TWD) und die ehemalige TWD-Beteiligung SVG GmbH am Donnerstag vor dem Landgericht Leipzig fortgesetzt worden. Der Vorsitzende Richter der 5. Kammer für Handelssachen, Hans-Joachim Zügler, ging im Verlauf der fast achtstündigen Marathon-Sitzung auf einige wenige der vielen Kündigungsgründe ein. Geladen waren hochrangige Vertreter der Stadtverwaltung Delitzsch sowie frühere Kollegen und Geschäftspartner von Ex-Geschäftsführer Mörtl. Ein Thema von besonderem Interesse: die Russland-Reise des heute 50-Jährigen im Sommer 2004. Mörtl wird vorgeworfen, den 11-Tages-Trip als Dienstreise abgerechnet zu haben, obwohl der passionierte Jäger in der Taiga seinem Hobby frönte und zwei Bären erlegte. Die Kosten in Höhe von 14.000 Euro waren über die einstige TWD-Beteiligung BMG GmbH abgerechnet worden, die wie die Firma SVG heute von Andreas Böhme geleitet wird. Seinerzeit war Mörtl Böhmes Co-Geschäftsführer. Der 45-Jährige erklärte, er habe von den Bären nichts gewusst. Dass er Mörtl ein Jahr später vor die Tür setzte, sei „eine Kettenreaktion gewesen, weil das Hauptanstellungsverhältnis von Herrn Mörtl bei den TWD lag und diese ihm gekündigt hatten“. Er selbst habe ja wenig mit Mörtl zu tun gehabt, „aber die Gesellschafterversammlung hat so entschieden“. Wer diese im September 2005 einberufen habe, wollte der Richter wissen. Darauf Böhme: „Das waren Oberbürgermeister Heinz Bieniek und Stadtwerke-Geschäftsführerin Yvonne Bargatzky-Bender.“ Als Grund für die Kündigung sei ihm gesagt worden, dass man mit Mörtls Leistungen nicht mehr zufrieden sei. Der Gefeuerte selbst beteuert, die Russland-Reise habe der Holz-Akquisition fürs Biomassekraftwerk gedient. Sein früherer Mitarbeiter Matthias Starke habe ihn deshalb als technischer Berater begleitet. LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 23.12.2006, Titelseite „Der Star kommt immer zum Schluss“Mörtl-Prozess: Richter hört elf Zeugen, stellt viele Fragen – und will den Oberbürgermeister im März wiedersehenVon Dominic WeltersLeipzig. Die Uhr im Sitzungssaal 439 bewegte sich gerade zielstrebig auf 19.44 Uhr zu, als der Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Delitzsch den Raum betrat. 339 Minuten nach Verhandlungsbeginn wollte der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Zügler jetzt auch Heinz Bieniek (CDU) einige Fragen stellen. Der OBM, im Gesicht gezeichnet vom stundenlangen Warten in den kargen Fluren des Leipziger Amtsgerichtsgebäudes, war an diesem 21. Dezember der letzte Zeuge.
Zuvor hatte Zügler im Sammelverfahren Lutz Mörtl gegen die Stadtwerke Delitzsch (SWD), die Technischen Werke Delitzsch (TWD) und die Sortier- und Vermarktungsgesellschaft (SVG) aus Naundorf in Sachsen-Anhalt weitere zehn Damen und Herren auf den Zeugenstuhl beordert. Unter ihnen Bürgermeister Gerhard Denef (CDU), Rechtsamtsleiterin Beate Miketta, der ehemalige Stadtkämmerer Otto Reiter und SWD-Geschäftsführerin Yvonne Bargatzky-Bender. Für die im Zuhörer-Bereich versammelte Abordnung des sozialdemokratischen Ortsvereins sollte die achtstündige Verhandlung so etwas wie eine zweite Weihnachtsfeier werden. Da der Vorsitzende nicht mit zynischen Kommentaren geizte, gab´s für die Sozis etliche Male Grund zu diebischer Freude, die – alles andere würde sich bei Gericht auch nicht geziemen – natürlich still genossen wurde. So leuchteten die Augen der SPDler gar vorweihnachtlich, als Zügler gegen 14.10 Uhr mit Bienieks „Vize“ Denef die Beweisaufnahme startete und wenig später trocken verlauten ließ: „Der Star kommt immer zum Schluss.“ Der Star war zunächst mal der Richter. Zügler ackerte sich souverän-spitz durch einen Berg Papier und ging bei seinen Befragungen einigen Kristallisationspunkten in dem Überangebot an Kündigungsgründen auf den Grund. Denn dass Mehrfach-Geschäftsführer Mörtl, der während der Marathon-Sitzung mehrfach innerlich bebte, dabei aber die Contenance zu wahren verstand, im September 2005 vor die Tür gesetzt wurde, beruht bekanntlich nicht nur auf dem berühmtesten aller Vorfälle, der Bärenjagd in Russland vom Sommer 2004 (siehe Seite 1). Dem heute 50-Jährigen wird gleich ein Sack voll Verfehlungen vorgeworfen. So soll der Geschasste den Aufsichtsrat der TWD nicht über die Konditionen eines Darlehensvertrags in Höhe von 2,136 Millionen Euro unterrichtet haben, der im ersten Quartal 2004 abgeschlossen wurde, um den Bau des dem Biomassekraftwerk vorgeschalteten Holzkontors zu finanzieren. Der auf Wiedereinstellung klagende Mörtl pocht aber darauf, dass das Kontrollgremium ein Jahr zuvor einen Kreditrahmen von 2,225 Millionen Euro abgesegnet habe. Was Reiter, einst beratendes Mitglied des TWD-Aufsichtsrates, zu der Feststellung veranlasste: „Aber über die Konditionen des Vertrages kann man doch keinen Beschluss fassen, wenn man diese noch gar nicht kennt.“ OBM Bieniek, als Vorsitzender des Aufsichtsrates von Richter Zügler ebenfalls zu dem Darlehen befragt, gab an, nicht mehr genau sagen zu können, wann er vom Abschluss des Vertrages erfahren habe. Mit dem Stadtoberhaupt – Zeuge und aufgrund seines Aufsichtsratsvorsitzes bei SWD und TWD zugleich Streitpartei – wälzte Zügler noch so manches andere heiße Thema. Etwa das Kapitel Zusatzvergütung für den ehemaligen TWD-Vertriebsleiter Andreas Linger in Höhe von 9.000 Euro jährlich, die Mörtl eigenmächtig initiiert haben soll. Linger war von 2003 bis Ende vorigen Jahres obendrein Geschäftsführer der Marketinggesellschaft des 1. SV Concordia Delitzsch, die sich um die Akquisition von Sponsoren bemühte. Der Vertriebsexperte sollte außerhalb Delitzschs nicht nur Strom verkaufen, sondern in der Fremde auch noch Handball-Freunde gewinnen. Die Kläger-Seite spricht davon, dass Bieniek an dieser Personalentscheidung maßgeblich beteiligt war und die Bonus-Besoldung angewiesen hat. Das aber bestritt der Oberbürgermeister vor der Kammer: „Ich habe das nicht angewiesen, das wäre mit Sicherheit in den Aufsichtsrat gekommen.“ Es sei im Wirtschaftsrat von Concordia davon die Rede gewesen, dass sich die TWD personell mehr einbringen sollen, „weil wir uns nicht noch stärker finanziell einbringen konnten“. Seinerzeit habe es geheißen, Linger würde sich im Rahmen seines Jobs auch den Handballern widmen. „Er hat das also während seiner Arbeitszeit gemacht. Wie kann er da mehr Geld kriegen?“, so Bieniek. Linger selbst, etliche Stunden vor dem OBM auf seinen Zweitjob angesprochen, betonte, er wisse nichts davon, „dass Herr Bieniek das Geld angewiesen hat“. Er habe nur mit Mörtl über die zusätzliche Aufgabe gesprochen. Ähnlich äußerte sich der amtierende Concordia-Präsident und TWD-Angestellte Volker Schmidt – allerdings erst nach eindringlichem Nachfassen durch den Vorsitzenden und einem merklichen Stocken seitens des Zeugen. Schmidt: „Die Idee mit Linger hatte Herr Mörtl. Herr Bieniek wusste davon und war einverstanden. Aber ob er die 9000 Euro angewiesen hat, das weiß ich nicht. Woher das Geld kommt, darüber ist im Wirtschaftsrat nicht gesprochen worden.“
Richter Zügler fand das offenbar wenig überzeugend und hieß den Zeugen Schmidt fürs Erste warten. So harrte der Concordia-Boss bis zum Finale Seite an Seite mit dem Oberbürgermeister draußen vor der Tür aus, kam aber nicht mehr dran. Er hat´s immerhin hinter sich, Bieniek noch nicht. Als dessen Befragung vorbei und die Vertagung des Verfahrens auf den 22. März 2007, 13 Uhr, ausgesprochen war, fiel Richter Zügler ein, dass er dem OBM die wichtige Frage nach Mörtls Charterflug nach Warschau zu stellen vergessen hatte. „Da muss der Herr Oberbürgermeister wohl noch mal wiederkommen.“ Zu später Stunde lässt halt die Konzentration ein wenig nach. LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 23.12.2006, Seite 5 STANDPUNKTSeltsamVon DOMINIC WELTERSElf Zeugen und eine Vertagung: Richter Zügler geht die Sache Mörtl gegen den Rest der Delitzscher Welt ziemlich gründlich an. „Mir reicht ein Kündigungsgrund für drei Kündigungen“, sagt er. Aber der eine muss halt hieb- und stichfest sein. Im Moment sieht vieles danach aus, als habe der Vorsitzende hier und da Zweifel. Auffällig: Der verpasste Eintrag einer Satzungsänderung durch die TWD, wodurch möglicherweise alle Beschlüsse des Aufsichtsrates seit 1. Januar 2002 hinfällig sind und es vielleicht gar keinen Dienstvertrag mit einem Geschäftsführer Mörtl gab, scheint die große Hoffnung des Verjagten zu sein. Dessen Anwalt Rudolph hielt sich bei der Befragung der Zeugen jedenfalls merklich zurück. Und noch etwas könnte für den Ex-TWD-Zampano sprechen: Drei Tage nach der ersten fristlosen Kündigung begann die Firma Eon Audit bei den Technischen Werken und ihren Beteiligungen mit Sonderprüfungen. Dabei wurde auch die Bärenreise-Abrechnung entdeckt – ein sattes Jahr nach dem Russland-Trip. Das alles bleibt seltsam. LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 23.12.2006, Seite 5 |