Kakerlaken-Plage am Ziehwerk

Kreiswerke-Material zur Ersatzbrennstoffproduktion ist Heimstatt für wanderlustige Schaben

Von DOMINIC WELTERS

Delitzsch. Unangenehm riechen tut es je nach Wetterlage immer schon mal. Doch seit kurzem dringt vom Gelände des einstigen Ziehwerks nicht nur Unangenehmes für die Nase, sondern auch wenig Erquickliches für die Augen; mehr noch: fürs Gemüt, denn was da so zu einigen Anrainern der Industriebrache herüberkrabbelt, „kann einem alles verderben“, wie Gabriele Lippert und ihr Mann Ralf dieser Tage leidvoll erfahren. Erst war es die Gartenlaube, in der das Ehepaar dutzende Kakerlaken entdeckte, dann wagten sich die Schaben gar noch weiter ins Landesinnere - bis in die Wohnungen eines Vierfamilienhauses in der RTS-Straße hinein. In einer leben die Lipperts, in einer anderen die Lehmanns. Bei Letzteren herrschte gestern früh verschärfter Schädlingsalarm. Als Brigitte Lehmann den Küchenschrank öffnete, wimmelte es dort nur so von unappetitlichen Quälgeistern. Sie wisse von weiteren Bewohnern der Straße, „denen die Biester zusetzen“, sagt Gabriele Lippert. Aller Kampf sei bislang vergeblich gewesen. „Die Küche im Garten zum Beispiel haben wir komplett ausgeräumt. Alles wurde abgewaschen, jede Ritze gereinigt. Doch die Viecher kommen immer wieder.“ Schon seit 33 Jahren wohnen Lipperts in Sichtweite des Ziehwerks, „aber so etwas hatten wir nicht mal zu DDR-Zeiten“. Allmählich gingen die Bemühungen, den aufdringlichen, vor allem nachts aktiven Insekten Herr zu werden, ins Geld: Fliegenfänger, Köder, Spezialspray - „das kostet doch alles“.

Der Herd der Plage steht für sie und die Nachbarn längst fest und wurde inzwischen auch vom eingeschalteten Amt für den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landkreises als solcher ausgemacht: die alte Fabrikationshalle des Werks, in dem die Kreiswerke Delitzsch (KWD) seit geraumer Zeit Abfallreste lagern. Lipperts haben sich informiert und gehen davon aus, dass es sich um jene so genannten heizwertreichen Fraktionen aus vorbehandeltem Müll handelt, die die KWD aus der Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage Cröbern beziehen und aus denen Ersatzbrennstoff wird. Doch bei den KWD dementiert Reinhard Freitag, Stellvertreter von Geschäftsführer Heinz Böhmer, derlei Mutmaßungen entschieden. „Das sind Mischkunststoffe, die ebenfalls zu Ersatzbrennstoff aufbereitet werden.“ Zurzeit seien 4000 bis 4500 Tonnen im Ziehwerk zwischengelagert. Spätestens im September/Oktober gehe das Material in die Verarbeitung, sagt Freitag. Am Ende dieses Vorgangs steht „Carbo light“, jenes Produkt, das die Kreiswerke als Ersatz für Kohle, Gas und Öl an die Zementindustrie und an Kraftwerke verkaufen (wir berichteten).

Dass Menschen in Döbernitz unter dem großen Krabbeln aus der Halle leiden, diese Nachricht hat die Kreiswerke inzwischen erreicht. „Von dem Kakerlakenbefall in dieser etwas intensiveren Form wissen wir seit Donnerstag voriger Woche. Wir haben daraufhin die Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung Eilenburg beauftragt, sich des Problems anzunehmen.“ Seit Freitag voriger Woche seien „größere Aktivitäten im Gange“, so Freitag. Insektizide, Fallen und „Bekämpfungsmittel in Pulver- und in flüssiger Form“ seien ausgestreut beziehungsweise aufgesprüht worden. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen werde mit Fachleuten der Frunol Delicia GmbH „ein absolut tragfähiges Konzept auf die Beine gestellt, um ähnliche Vorfälle künftig auszuschließen“.

Andreas Barthel heißt der Mann, auf dem die Hoffnungen der KWD gerade ruhen. Der Groß-Kammerjäger aus Eilenburg geht davon aus, „dass in einem der Abfallbälle eine Population eingeschleppt wurde“. Mit zwei chemischen Barrieren in der Halle sollen die Schaben daran gehindert werden, weiter ins Freie zu gelangen. Bis jetzt scheint diese Taktik nicht aufzugehen. Ein Verwandter der Lipperts sammelte in der Nacht zum Donnerstag nahe der RTS-Straße weitere Exemplare ein. Der Mann heißt Dietmar Mieth, gehört der Bürgerinitiative Sauberes Delitzscher Land an und brachte abgezählte 896 Kakerlaken gestern mit zur Bürgerfragestunde innerhalb der Stadtratssitzung ...

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 23.06.2006, Seite 5


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