Mit dieser Frage auf überdimensionalem Transparent provozieren Gegner der Müllverbrennung in Delitzsch seit kurzem an einem der Windräder an der Straße nach Mocherwitz
Foto: Lü
LVZ, 07.05.2002
"Konstruktiv an der Lösung des Müllproblems mitwirken"
Delitzsch.
"Beschimpfungen lösen die Probleme nicht" damit hatte sich Landrat Michael Czupalla kürzlich in der LVZ dagegen verwahrt, dass auf der Gründungsversammlung der BUND-Regionalgruppe am 5. April Mitarbeiter seines Hauses der "Lüge" bezichtigt wurden. Dass hier jedoch auch "Technikängste" geschürt worden seien, weist die BUND-Regionalgruppe nun ihrerseits zurück. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative "Müllverbrennung Delitzsch? Nein!" seien nunmehr alle Fraktionen des Kreises und der Stadt Delitzsch um einen Gesprächstermin gebeten worden. "Von unserer Seite wird damit eine Versachlichung der Diskussion um die Abfallentsorgung im Landkreis angestrebt", so H.-Georg Bosold vom Vorstand der BUND-Regionalgruppe. Bisher hätten die städtischen Fraktionen der SPD, der PDS und der Freien Wähler ihr Interesse bekundet.
In die Diskussion um den geplanten Müllverbrennungsstandort Delitzsch Südwest hatte der BUND auf seiner Gründungsversammlung der Regionalgruppe Delitzsch auch Ergebnisse einer Studie des Greenpeace-Forschungslabors der Universität Exeter (England, Oktober 2001), in deren Untersuchungen auch Anrainer von Müllverbrennungsanlagen in Deutschland einbezogen wurden, ins Spiel gebracht. Auf "den Vorwurf, es wären Behauptungen ohne konkrete Argumente aufgestellt worden", reagierte der BUND mit drei von etwa 30 Argumenten aus besagter Studie:
"1.) 37-prozentige Erhöhung des Sterblichkeitsrisikos bei Leberkrebs (Studie an 14 Millionen Menschen, die bis zu 7,5 km von 72 britischen Verbrennungsanlagen für Siedlungsmüll entfernt lebten. Weitere Untersuchungen zur Ausschaltung möglicher konfundierender (verfälschender) Faktoren ergaben eine wahrscheinliche Erhöhung des Leberkrebs-Risikos um 20 bis 30 Prozent. Armut konnte als möglicher konfundierender Faktor nicht völlig ausgeschlossen werden; 1996 und 2000);
2.) 2,79-fach erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei Magenkrebs. (Personen, die zwischen 1962 und 1992 bei einer italienischen Verbrennungsanlage für Siedlungsmüll beschäftigt waren. Einige der erhöhten Werte sind möglicherweise auf konfundierende Faktoren zurückzuführen; 1997);
3.) Niedrige Schilddrüsenhormon-Werte bei Kindern aus der Umgebung einer deutschen MVA (1998)."
Eine weitere aktuelle Untersuchung an der französischen Universität Besancon habe außerdem ergeben, dass das Krebsrisiko für Menschen, die in der Nähe von Müllverbrennungsanlagen leben, deutlich höher sei als für andere Personengruppen. Werde das durchschnittliche Risiko einer Krebserkrankung mit dem Wert eins beziffert, sei dieser Risikofaktor im Umkreis der Müllverbrennungsanlage der ostfranzösischen Stadt auf 1,44 gestiegen. Experten seien auf 75 bekannt gewordene Krebserkrankungen gestoßen, was im Hinblick auf die Bevölkerungszahl "deutlich über dem Durchschnitt" liege.
"Ganz bewusst wollen wir nicht nur Ablehnung signalisieren sondern konstruktiv an der Lösung des Problems mitwirken", so der BUND. Am 5. April seien auch Möglichkeiten der Abfallbehandlung erörtert und deren Vorund Nachteile diskutiert worden. Dabei "erschien es ökologisch und ökonomisch sinnvoller, vorbehandelten Müll unter kontrollierten Bedingungen zu verarbeiten als nicht vorbehandelten Müll einfach zu verbrennen." Auch erscheine es "widersinnig, eine größere Menge Müll heranzufahren, als eine kleinere Menge (z. B. vorbehandeltes Trockenstabilat) wegzufahren".
Der BUND geht davon aus, dass die Vorwürfe gegen ihn nicht zuletzt "auf Missverständnisse zurückzuführen sind. Es wäre konstruktiver gewesen, wenn Vertreter der Planung des zukünftigen Abfallkonzeptes an dieser öffentlichen Versammlung teilgenommen und zur Diskussion beigetragen hätten." Die Missverständnisse auszuräumen sei nicht zuletzt Anliegen des Gesprächswunsches mit den Verantwortlichen für die zukünftige Abfallentsorgung im Landkreis. "Wir wünschen uns dazu eine rege Beteiligung der Abgeordneten aller Fraktionen und fordern eine Fortsetzung der Arbeitsgruppe Abfallentsorgung durch den Landrat, welche sich seit August vergangenen Jahres "also deutlich vor grundlegenden Entscheidungen im Kreistag" nicht mehr trifft.
Zurück an den "Abfalltisch"
Der "runde Tisch" zur künftigen Abfallentsorgung im Kreis diente der Vorbereitung der Kreistagsentscheidung vom November 2001 (wir berichteten): Die Kreiswerke wurden mit etwa drei Viertel der Stimmen beauftragt, Angebote zum Bau einer Müllverbrennungsanlage in Delitzsch-Südwest einzuholen. Am 12. Juni will der Landrat die Diskussionen dazu in der Arbeitsgruppe noch einmal aufarbeiten, sich kurz vorher in "kleiner Runde" auch mit dem BUND verständigen. Die gut 100-seitige Greenpeace-Studie von Fachleuten bewerten zu lassen, dafür sieht er jetzt keinen Anlass. "Für die Kreisverwaltung ist das Umweltverträglichkeitsgutachten eines ebenfalls vom BUND anerkannten Öko-Institutes ausschlaggebend."
K. R.
LVZ-Online, 7. Mai 2002