Ja zur Verbrennung spaltet Delitzscher Sozialdemokratie
Delitzsch.
Für die Delitzscher Sozialdemokraten wird die geplante thermische Abfallverwertungsanlage im Industrie- und Gewerbegebiet Südwest zur Zerreißprobe. Offenbar haben am Donnerstag im Stadtrat auch SPD-Abgeordnete die Entscheidungfür die Anlage mitgetragen. Der Delitzscher SPD stehe jetzt ein "Selbstreinigungsprozess" bevor, sagte gestern Ortsvorsitzender Joachim Ackermann und drohte unverhohlen mit seinem Rücktritt.
In ungewöhnlich scharfer Form missbilligte Ackermann, der im letzten OBM-Wahlkampf gegen eine Müllverbrennungsanlage (MVA) Stimmen sammelte, "Abweichler in den eigenen Reihen". "Es ist für mich völlig unverständlich, warum diese Stadträte innerhalb weniger Tage zu MVA-Befürwortern wurden", sagte er. In den nächsten Wochen werde die Ortsgruppe eine Richtungsentscheidung treffen müssen. "Mit dem Herumwursteln auch bei anderen Fragen muss endlich Schluss sein", forderte Ackermann, andernfalls "stehe ich dem Ortsverein für Führungsaufgaben nicht mehr zur Verfügung."
Derweil sprach OBM Heinz Bieniek (CDU) von einer guten Entscheidung für Delitzsch. Durch den Verkauf eines Grundstücks für die Anlage wird der klamme Zweckverband Industrie- und Gewerbegebiet Delitzsch-Südwest, in dem die Stadt Delitzsch und die Nachbargemeinde Neukyhna zusammenarbeiten, finanziell entlastet. Der Erlös von einer Million Euro führe zur einer jährlichen Zinseinsparung von 75.000 Euro.
In einer von der CDU-Fraktion beantragten geheimen Abstimmung hatte der Stadtrat am Donnerstag (LVZ berichtete) mit 17 Ja- und 10 Gegenstimmen seinen Vertretern in der Zweckverbandsversammlung das Mandat zum Abschluss eines Optionsvertrages mit der Kreiswerke Delitzsch GmbH erteilt. Das Unternehmen will sich so den Erwerb des Grundstück für die thermische Anlage sichern. Die Gemeinde Neukyhna hat bereits dem Verkauf zugestimmt. Der Stadtrat koppelte die Veräußerung des Grundstückes allerdings an "eine Vereinbarung über die regionale Sicherung der ausgeschriebenen Anlagenkapazität mit regionalen öffentlichen Aufgabenträgern der Abfallentsorgung".
Genau dies ist nach Ansicht von OBM Bieniek inzwischen geschehen. Wie berichtet, haben der Landkreis Delitzsch und der Zweckverband Abfallwirtschaft Westsachen (ZAW) ein "gemeinsames Behandlungs-, Verwertungs- und Ablagerungskonzept" vereinbart. Dieses sieht vor, ab 2005 in der Stadt Leipzig sowie den Landkreisen Delitzsch, Leipziger Land und Muldentalkreis anfallende Abfälle in einer mechanisch-biologischen Anlage (MBA) auf der Großdeponie Cröbern zu verwerten. Das bei diesem Prozess entstehende heizwertreiche Material wird dann in Delitzsch-Südwest zur Energiegewinnung verbrannt. Die Schlackereste würden wiederum nach Cröbern transportiert und dort in der Deponie eingelagert.
Der Freistaat Sachsen geht nach den Worten von Vize-Landrat Ulrich Fiedler davon aus, dass im ZAW-Raum im Jahr 2005 noch 149.700 Tonnen Haus- und Sperrmüll sowie 75.170 Tonnen Gewerbeabfälle zu entsorgen sind. Für den Kreis Delitzsch wird das Aufkommen an Haus- und Sperrmüll auf 31.700 Tonnen prognostiziert. Die MBA soll daher für 300.000 Tonnen ausgelegt werden, die Verbrennungsanlage in Delitzsch für 80.000 Tonnen. Die Laufzeit der noch zwischen dem Landkreis Delitzsch, dem ZAW und den beteiligten Entsorgungsunternehmen abzuschließenden Verträge gab Fiedler mit 20 Jahren an. Sie würden, wie vom Kreistag vorgegeben, einen Abfallbehandlungspreis von 105 Euro pro Tonne garantieren.
Ungeachtet dessen, dass der Preis pro Tonne Müll dadurch bis 2005 um 32 Prozent steigen würde, bezeichnete Stadtrat Jörg Bornack (SPD) die Vereinbarung zwischen dem Landkreis und dem ZAW als "richtigen Weg", der jetzt "allen BeteiligtenSicherheit gibt und Gebührenstabilität schafft". SPD-Fraktionsvorsitzender René Brunzel hielte es allerdings aus Kostengründen für sinnvoller, die Verbrennungsanlage gleich neben der MBA in Cröbern zu errichten. Auch Sigrid Hautog (PDS) bemängelte, dass es für die thermische Anlage keinen Standortvergleich zwischen Delitzsch und Cröbern gebe. Für Stadtrat Manfred Böttcher (CDU) stellt sich die Frage aber völlig anders: "Uns kann es nur darum gehen: Verkaufen wir das Grundstück oder nicht?" Wenn nicht ließe sich der Zweckverband eine Million Euro entgehen, wären 300 bis 400 Arbeitsplätze direkt bzw. mittelbar gefährdet. Allein bei den Kreiswerken sollen bis zu 140 Jobs auf dem Spiel stehen.
Klaus Staeubert
LVZ-Online, 22. Juni 2002