Kreistag stellt Weichen auf Verbrennung

Delitzsch (Eig. Ber.). Mit deutlicher Mehrheit hat der Kreistag Mittwochabend nach einer Mammutsitzung dem Bau einer Müllverbrennungsanlage mit einer Jähreskapazität von maximal 80.000 t grünes Licht gegeben. Am Folgetag forderte Landtagsabgeordneter und Kreisrat Dr. Michael Friedrich (PDS), einer der entschiedensten Gegner dieser seiner Meinung nach "betriebswirtschaftlich immens riskanten" Unternehmung, die Staatsregierung zum Gegensteuern auf.

LVZ, 30.11.2001

Hier soll die zukünftige MVA entstehen
In unmittelbarer Nähe von Pfleiderer soll im Gewerbegebiet Delitzsch Südwest demnächst ein weiterer Schornstein rauchen, der einer Müllverbrennungsanlage für den Kreis Delitzsch. Der Kreistag stellte dafür vorgestern die Ampel auf Grün. Foto: Lü.

Über 40 Tagesordnungspunkte im Jahresabschluss-Mammutprogramm der 13. Kreistagssitzung, einer der umstrittensten:

Kreistag gibt Müllverbrennung grünes Licht

D e l i t z s c h. Mit knapp 70 Prozent der Stimmen (48 Kreisräte waren da) hat der Kreistag in nichtöffentlicher Sitzung am Mittwochabend für weitere Verhandlungen und Präzisierungen der Aufgaben zur Müllbehandlung im Kreis Delitzsch ab Juni 2005 durch Müllverbrennung grünes Licht gegeben. Wie berichtet, sind damit wichtige Weichen gestellt für den Bau einer Müllverbrennungsanlage (MVA) mit einer Jahreskapazität von 70.000 bis 80.000 Tonnen im Gewerbegebiet Delitzsch-Südwest.
Die
Kreiswerke Delitzsch GmbH will hier über 100 Millionen Mark investieren.

Der Entscheidung war eine zweijährige kontroverse Diskussion in einer überparlamentarischen Arbeitsgrup- pe mit verschiedenen Experten sowie in den Gremien des Kreistages vorausgegangen, erinnerte Landrat Michael Czupalla (CDU) und dankte allen, die sich an diesem Prozess beteiligten. "Damit ist jetzt der Stand erreicht, um Entscheidungen zu treffen. Wir müssen die Aufgaben, die uns neue Umweltgesetze ab 2005 vorschreiben (keine Ablagerung von unbehandelten Abfällen auf herkömmlichen Deponien mehr, d. Red.) in Angriff nehmen."
Vier Varianten der Müllentsorgung und -Verarbeitung standen zur Debatte. Nach einer Umweltverträglichkeitsstudie durch ein auch von vehementen Gegnern der Müllverbrennung in Delitzsch anerkanntes Institut schien jede Variante (Verbrennung in zwei Größenordnungen, mechanisch-biologische Behandlung oder Transport in andere Anlagen) weder gravierende Vor- noch Nachteile aufzuweisen. Kreisverwaltung, Kreiswerke, die Mehrheit der CDU-Koalition, auch Teile der PDS (unter bestimmten Bedingungen) favorisieren offenbar die Verbrennung und damit die weitere Eigenständigkeit des Kreises bei der Pflichtaufgabe Müll. Das wurde in Statements einzelner Kreisräte im Vorfeld der nichtöffentlichen Abstimmung deutlich. "Die CDU unterstützt den Beschluss",sprach Rita Henke für ihre Fraktion. "Wir glauben an die Verlässlichkeit der Zahlen durch die Kreiswerke und denken, dass das für die künftige Gebührenentwicklung und die Sicherung von Arbeitsplätzen der beste Weg ist. Ohne Risiko gibt es keine Kreativität", erteilte sie den Zweiflern vor allem bei der SPD und PDS eine Abfuhr und erhielt Rückendeckung von ihrem Fraktionskollegen Peter Seidel: "Warum wird derzeit überall von Rezession gesprochen? Weil der Mut zu Investitionen fehlt!" Eine "Vollkasko" gäbe es jedoch dafür nicht, räumte er ein. "Wir müssen dennoch Mut zu Entscheidungen haben."
Dr. Michael Friedrich (PDS), der bereits am Mittwoch in dieser Zeitung seine Bedenken zur Wirtschaftlichkeit der geplanten Anlage geäußert hatte, lieferte den Kreisräten unmittelbar vor der Abstimmung noch einmal mit Tabellen Zahlenmaterial, das die Schere zwischen Auslastung und Andienungspreis verdeutlichen sollte. "Nur zehn Prozent weniger Auslastung erhöht die Kosten um 15 Prozent,. Diese Kurve verläuft nach oben nicht linear." Theo Arndold (SPD, und wie Friedrich Mathematiker) sah sich mit Friedrich konform ("was selten genug passiert") und stellte fest: "Nur eine 100-prozentige Auslastung der Anlage schützt uns vor Verlusten." Sowohl Thomas Krönert (PDS), als auch Friedrich schlugen deshalb für die Verträge mit den Kreiswerken Sicherheitsklauseln vor.
In den Vereinbarungen würden Gebühren-Höchstgrenzen (150 € pro Jahr und Tonne) festgelegt, erläuterte Czupalla gestern ergänzend zum Kreistagsbeschluss "Da ist noch Bewegung drin. Sollten mittelfristig wirklich Engpässe bei der Auslastung eintreten, wirkt ein wirtschaftlicher Kreislauf, der nicht den Bürger, sondern die Mengenkosten belastet." Der Landrat rechnete eher mit einer möglichen Erweiterung der MVA in Delitzsch ab 2012. Derzeit sei die 70-er Verbrennungsanlage jedoch wirtschaftlich darstellbar. "Ohne diesen Beschluss hätten wir Probleme mit einer Verlängerung des Betriebs der Deponie Spröda bis Ende 2004 bekommen", wiederholte Czupalla seine Argumente und die seines Umweltdezernenten Ulrich Fiedler vom Mittwoch an dieser Stelle. "Den Verträgen des Kreises mit den KWD wäre die Grundlage entzogen worden, wir hätten den Betrieb umstrukturieren müssen, wollen unsere Eigenständigkeit jedoch bewahren und das Mitspracherecht des Kreistages." In die folgenden Verfahren soll auch das Ökoinstitut weiter eingebunden werden, sagte Czupalla. "Wir informieren über die nächsten Schritte."

K.R.

LVZ, 30.11.2001

Auslastung der Anlage und Kosten pro Tonne


Kommentar:
Rezession entsteht immer dann, wenn wirtschaftliche Fehlentscheidungen der Vergangenheit zum Tragen kommen. Wenn Peter Seidel hier die Rezession anspricht und vom Mut zu Investitionen aufruft, dann ist das wohl voll daneben. Denn die Versicherung oder auch "Vollkasko" ist bei einer solchen Anlage immer die Umlage auf den Bürger. Rein private Unternehmen würden ein solches wirtschaftliches Risiko nie in Kauf nehmen, so wie es hier von den Kreistagsabgeordneten freimütig in Kauf genommen wird. Wahrscheinlich lässt sich mit dem Gehalt aus dem öffentlichen Dienst jede Gebührenerhöhung bezahlen. Da braucht man natürlich seinen eigenen "Mut zu Entscheidungen" nicht unter den Scheffel zu stellen.

B,


Zum Thema Mengenkosten

Mit Mengenkosten meint der Herr Landrat anscheinend die Kosten, die pro Mengeneinheit immer teurer werden, wenn die Anlage nicht richtig ausgelastet ist.
Leider wird aber nicht das Geld von den Mengenkosten bezahlt, sondern letzten Endes vom Bürger über seine Müllgebühr pro Mengeneinheit, also pro Mülltonne.


zurück zur Textstelle Mengenkosten