D e l i t z s c h. "Wenn der Müll weniger wird, haben wir die Riesenanlage für 100.000 Tonnen am Hals und die Kosten gehen dann über die Gebühren. Das ist doch eine unseelige Entwicklung. Und arbeitet die Müllverbrennungsanlage, werden wir wohl unsere Kartoffeln nicht mehr aus Döbernitz holen", so Sabine und Ralf Kleine, die am Freitagabend zu den rund 150 Teilnehmern der Veranstaltung im Delitzscher "Weißen Ross" gehörten. Eingeladen dazu hatte die Bürgerinitiative "Müllverbrennung Delitzsch? Nein!"
Standpunkte, Bedenken, auch Emotionen bestimmten die Runde mit Bürgern, Vereinen, Verbänden und Parteien. Hans-Udo Weiland vom Vorstand des Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz, ging eingangs auf die Sorgen ein, die die Bürgerinitiative im Zusammenhang mit der geplanten Müllverbrennungsanlage (MVA) in Delitzsch-Südwest bewegen:
Den Standpunkt der SPD unterstrich Dr. Gerd Raschpichler: "Natürlich gehen wir davon aus, dass eine Müllverwertung stattfinden muss und zukunftsfähig sein soll." Zukunftssicher bedeute aber auch, dass man sich neben der Ökonomie auch mit den zu erwartenden Müllmengen-Reduzierungen und flexiblen Entsorgungs- und Verwertungssystemen beschäftigen müsse. "Wenn ich sage, zukunftssicher und ökonomisch, dann ist die Müllverbrennung eine Alternative. Aber es gibt auch andere." Beispiel: In Dresden habe man sich gerade für eine mechanisch-biologische Behandlung entschieden. Der Standort Südwest sei im Übrigen für ihn nicht akzeptabel.
Ulf Jäckel von Bündnis 90/Die Grünen bekräftigte, dass es erhebliche Probleme gebe über lange Zeit, Müllmengen zu prognostizieren. "Heute 60.000 Müll, in zehn Jahren vielleicht 30.000 Müll" Die Anlage wäre damit völlig unterbelastet. Auch die Imagefrage für den Landkreis sollte man in der braunkohlegeschädigten Region nicht außer acht lassen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass dann noch jemand Öko-Produkte kaufen wird. Das betrifft natürlich auch die konventionellen Landwirte. Egal, ob die Emissionswerte den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, allein die Möglichkeit, es könnte sein, würde dafür sorgen, dass zum Beispiel Spargel aus Kyhna naserümpfend angesehen wird." Solche Sorgen der Bauern unterstrich auch Landwirt Dietmar Mieth aus Zschepen.
Sigrid Hautog vom Fremdenverkehrsverein und PDS-Stadträtin hinterfragte: Wir wollen möglichst viele Leute von Auswärts in die Rosenstadt Delitzsch holen. Wie passt das zur Müllverbrennung? Dr. Michael Friedrich (PDS): "Ich bin kein Fundamentalgegner der Müllverbrennung. Auch mechanisch-biologische Anlagen sind nicht unbedenklich." Doch bei einer etablierten MVA für 20, 25 Jahre bedeute das eine Investition zwischen 120 und 150 Millionen Mark, die refinanziert werden muss. Wie das geschehen wird, könne sich jeder ausdenken, nämlich durch Gebühren. Bei rapide sinkenden Müllaufkommen sehe er da eine finanziell tickende Zeitbombe. Sein Vorschlag: Man könnte z. B. in regionale Kooperation mit Lippendorf treten und das Gros sollte mechanisch-biologisch behandelt werden, entweder mit einer kleineren Anlage in Delitzsch oder in Cröbern.
PDS-Kreisrat Thomas Krönert nannte die aktuelle Zahl von weiteren 35.000 Tonnen Müll, die aus Gewerbe und Industrie zur Auslastung der Delitzscher Anlage beitragen sollen, über die aber nach seiner Meinung keine langfristigen Verträge möglich wären. Er ging auch noch einmal auf das Problem Landwirtschaft ein und berichtete wie in anderen Gegenden Bauern Front gemacht hatten gegen eine MVA, was, auch mit Blick auf den Kreisbauernverband, in der Delitzscher Region nicht zu verspüren sei.
Bedauert wurde, dass keine Vertreter der "Gegenseite" im "Weissen ROSS" dabei waren. Hans-Udo Weiland wies ausdrücklich auf die weitere Gesprächsbereitschaft der Bürgerinitiative hin und dass man künftig noch stärker "nach Außen" gehen wolle. Klar sei auch, dass es zum nächsten Kreistag die nächste Demo vor dem Landratsamt geben wird. Eine Postkartenaktion regte Günter Lochner von der Grünen Liga an.
L. S.
In Delitzsch formiert sich Widerstand gegen die geplante Müllverbrennung. Am Freitag folgten einer Einladung der Bürgerinitiative etwa 150 Leute.
Foto: det
LVZ, 13.11.2000