Delitzsch. Zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung lud kürzlich der SPD-Ortsverein nach Schenkenberg ein. Kreisverband und Ortsverein entwickelten gemeinsam ein Thesenpapier zur Entwicklung des Abfallkonzeptes für den Landkreis Delitzsch. Beide Gremien schätzten ein, dass die Entscheidung zur Müllentsorgung für die nächsten 50 Jahre weitreichende Auswirkungen auf die Kostenentwicklung, die Industrieansiedlung, die Infrastruktur und auch auf die subjektive Lebensqualität haben wird. LVZ sprach nach dem Forum mit Gerd Raschpichler, Kreisvorsitzender der SPD, Joachim Ackermann, stellvertretender Vorsitzender und Sachbeauftragter des SPD-Ortsvereins Delitzsch, sowie Rudolf Ryll von der Zwochauer SPD.
Frage: Im Juni 2002 laufen Verträge für die Deponie Spröda aus. Was geschieht künftig mit dem im Landkreis anfallenden Hausmüll?
Dr. Raschpichler: Grundsätzlich räumt die Bundesregierung bis 2005 ausreichend Zeit zur Neuorientierung ein. Der Delitzscher Landrat hat jedoch für den Landkreis Delitzsch eine endgültige Lösung schon bis 30. Juni 2002 mit dem Regierungspräsidium Leipzig freiwillig vereinbart. Das ist zu kritisieren. Damit löst sich ein Randgebiet mit Müllaufkommen von 20.000 Tonnen pro Jahr aus der Gesamtentwicklung in Westsachsen mit einem Aufkommen von mehr als 250 000 Tonnen pro Jahr vorfristig heraus. In Leipzig und südliche Umgebung werden fundierte Grundlagen für eine wirtschaftliche Großanlage in Lippendorf/Cröbern erarbeitet. Natürlich wird darüber erst 2001 entschieden. Von dieser vernünftigen Entscheidungsfindung koppelt der Landrat den Kreis Delitzsch leider ab. Das ist nicht nachvollziehbar! Was künftig mit dem Hausmüll geschehen wird ist klar. Verbrennung oder mechanisch-biologische Aufbereitung in einer teuren modernen Anlage. Die Frage ist nur: Wo und zu welchem Preis.
Eine Verbrennungsanlage in Delitzsch-Südwest favorisiert die SPD offenbar nicht. Warum geben Sie auch einer mechanisch-biologischen Aufbereitungsanlage (MBA) wenig Chancen?
J. Ackermann: Aus der Sicht des Kosten- und Havarierisikos für das eigentliche Verfahren ist eine MBA sicherlich zu begrüßen. Voraussetzung für den MBA-Betrieb ist jedoch eine entsprechend ertüchtigte Deponie, die wir im Landkreis nicht haben. Und es ist ein hohes finanzielles Risiko, jetzt noch eine Deponie zu ertüchtigen, da die MBA vorerst nur bis 2020 entsprechend des zu erwartenden Gesetzes gesichert ist. Grundsätzlich ist die MBA zum Ausgleich der in Sachsen bestehenden Deponieüberkapazitäten eine akzeptable Lösung.
Das neue Abfallkonzept soll nach Auffassung des Landrates im breiten gesellschaftlichen Disput entstehen. Wie beurteilen Sie derzeit Ihre Mitarbeit und hat die Expertenrunde das gebracht, was erwartet wurde?
R. Ryll: Der Wille zum gesellschaftlichen Konsens ist sicher zu loben. Und es ist auch zu begrüßen, dass für die einzelnen Varianten eine europaweite Ausschreibung erfolgt. Bedenklich stimmt jedoch, dass der Arbeitskreis im Mai letztmalig tagte und keine weitere Einladung vorliegt. Die Ausschüsse des Kreistages beginnen jedoch schon im August mit den Beratungen zum neuen Abfallkonzept und der Kreistag soll schon im September entscheiden. Damit wird der Arbeitskreis zum demokratischen Deckmantel. Da hatte ich natürlich mehr erwartet. Und darauf lassen wir es nicht beruhen. Unsere Veranstaltung am 11. Juli in Schenkenberg ist nur ein Anfang mit ermutigender Resonanz. Wenn der Landrat nicht wieder einlädt, werden wir den Disput weiter organisieren.
Werden die Kosten für die Müllentsorgung für den Bürger explosionsartig steigen?
J. Ackermann: Bei der vom Landrat offensichtlich favorisierten Variante einer Anlage mit 100.000 Tonnen pro Jahr mit Sicherheit ja! Große Anlagen mit mehr als 250 000 Tonnen pro Jahr und entsprechenden Verkaufsmöglichkeiten der Abwärme arbeiten mit unter 200 Mark je Tonne wirtschaftlich. Kleine Anlagen, die keine Abnehmer für die Abwärme haben - wie in Delitzsch der Fall - verursachen gegenwärtig Entsorgungskosten von bis zum 500 Mark je Tonne! Genau deshalb wollen wir nicht, dass sich der Landkreis Delitzsch mit seinem geringen Müllaufkommen ein Denkmal setzt, für das wir Beitragszahler dann 50 Jahre überhöhte Müllpreise zahlen. Wir wollen, dass ernsthaft und nachvollziehbar an einer westsächsischen Lösung gearbeitet wird.
Gibt es heute bereits technische Ideallösungen für das Müllproblem?
R. Ryll: Müllvermeidung und Mülltrennung ist da das Schlagwort. Jede Form der Beseitigung von gemischtem Müll nötigt Kompromisse ab. Auch wenn die Technik im Normalfall Gefährdungen der Anwohner ausschließt, kann ich mich nur darüber wundern, dass der Delitzscher Oberbürgermeister eine Müllverbrennungsanlage in der Hauptwindrichtung der Stadt haben will. Auch Atomkraftwerke wurden ja mal als bombensicher beschrieben.Wie schätzen Sie die Chancen für überregionale Kooperation in Sachen Abfall ein? Empfehlungen dafür gibt es bereits aus der CDU-Landtagsfraktion Sind die Bemühungen ausreichend, worauf sollte besonderer Wert gelegt werden?
Dr. Raschpichler: Wir unterstützen diese Initiative der CDU-Landtagsfraktion vorbehaltlos. Offensichtlich haben diese Politiker aus dem Millionengrab Abwasser gelernt. Wir wollen die überregionale Kooperation ebenfalls. Leider scheint der Landrat eine Insellösung zu favorisieren.
Ich kann die Bürger nur ermuntern, von "ihren" Kreistagsabgeordneten ein Abstimmungsverhalten zu fordern, das das Bürgerwohl zum Inhalt hat. Das Thema Müll sollte nur mit weitreichendem Konsens zwischen allen interessierten Kräften entschieden werden, denn wir entscheiden hier wirklich über ein wichtiges Stück Zukunft! Wenn die Ausschreibungsergebnisse Ende August vorliegen, werden wir intensiv prüfen, ob die Ergebnisse sachlich zustande gekommen sind und entsprechend im neuen Konzept berücksichtigt werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der September für eine nachhaltige auch öffentliche Diskussion nicht ausreichen wird. Die SPD würde sich dann für eine Verlängerung des Entscheidungszeitraums einsetzen.
LVZ, 17.07.2000