MÄRKISCHER KREIS. Berlin ist eine schöne und interessante Stadt. Ein Abstecher für drei Tage kann eine lohnenswerte Sache sein - bildungsmäßig und auch so. Noch schöner und noch interessanter ist der Kurztripp, wenn wesentliche Kosten von einem guten Freund übernommen werden. Aloys Steppuhn reiste im Mai 1999 mit seiner Ehefrau Lucy in die Bundeshauptstadt. Wie es sich für einen Sozialdezernenten und Landratskandidaten ziemt, herbergte er nicht etwa in einer Kiez-Bude, sondern im Grand Hyatt, einem Fünf-Sterne-Hotel im Herzen Berlins am Potsdamer Platz. Finanziell war die Nobelherberge, gebucht vom 6. bis zum 9. Mai, kein Problem, denn die Rechnung über 882,50 Mark zahlte sein guter Freund Dr. Klaus-Jürgen Haupt, der später im Zusammenhang mit dem Teilverkauf der Abfallentsorgungsgesellschaft Märkischer Kreis noch eine Schlüsselrolle spielen sollte. Haupt, ehemaliger Abfalldezernent des Märkischen Kreises, wies das Geld über seine Firma IKW, ein Beratungsinstitut für Kommunalwirtschaft mit Sitzen in Berlin und Köln, dem Hotel an. Am 7. Mai hatte Haupt ein Telefax ans Hyatt geschickt mit dem Hinweis, dem Ehepaar Steppuhn bei Abreise keinerlei Kosten in Rechnung zu stellen, sondern die Gesamtsumme an die Berliner Adresse der IKW zu schicken. Für Übernachtung (190 Mark pro Nacht), Kontinental-Frühstück für jeweils zwei Personen (jeweils 58 bis 70 Mark), Getränke an der Vox-Bar (ein Berliner Kindl, zwei Moskowskaya und ein Pellegrino für 46,50 Mark) und "Verschiedenes" (80 Mark) sprang Haupts IKW ein. Dies und vieles mehr geht aus den Ermittlungsakten der Bochumer Staatsanwaltschaft hervor.
Was könnte einen Hauptstadtbesuch am Abschlusstag besser krönen und die Freundschaft tiefer verbinden als ein gemeinsames und vor allem gutes Essen? Das gediegene Ambiente von "Reinhard´s Landhaus" an der Königsallee, das mit seiner Einrichtung den 30er und 40er Jahren huldigt und eine gehobene Küche mit deutsch-österreichischem Einschlag bietet, genossen die Ehepaare Steppuhn und Haupt offensichtlich. Gastgeber Dr. Haupt und Landratskandidat Steppuhn speisten gemeinsam mit ihren Ehefrauen exquisit. Die Bewirtungsaufwendungen, auf der Rechnung wird Aloys Steppuhn ausdrücklich als Landratskandidat Märkischer Kreis ausgewiesen, in Höhe von 685 Mark übernahm Gastgeber Haupt. Es habe sich um eine private Einladung gehandelt, um den "Geburtstag von Herrn Haupt nachzufeiern", erklärte Steppuhn gestern. Eigentlicher Anlass der Berlin-Reise sei seine Teilnahme an einer Vortragsveranstaltung als damaliger Sozialdezernent gewesen.
In der vergangenen Kreistagssitzung, als es um die Aufarbeitung des Task-Force-Berichts der vom Land eingesetzten Gruppe Antikorruption und um die Rolle Haupts ging, sprach Steppuhn einiges an. Zum Beispiel das gelegentliche "Kaffeetrinken" am Sonntag, dass Steppuhns Frau und Haupts Frau in zweiter Ehe zur Volksschulzeit in derselben Klasse waren und er von seinem Freund einen Duden im Wert von 39,95 Mark zu Weihnachten erhalten habe. Von der Berlin-Reise kein Wort.
Die IKW-Liste der Weihnachtspräsente weist eine recht interessante Empfängerliste aus. Während 1998 beispielsweise der Müllmulti und Haupt-Freund Hellmut Trienekens und Kreiskämmerer Robert Schüwer einen Varta-Führer erhielten, steht Steppuhn nicht auf der langen Liste. Ein Jahr später ist er als amtierender Landrat in den Kreis der Empfänger aufgestiegen. Fast 80 Personen, darunter wieder Trienekens und Schüwer, erhalten ein Buch von Günter Grass. Zu Weihnachten 2000 gibt´s dann den bemerkenswerten Duden.
Damit sind die zentralen Hauptakteure für das spätere Verfahren um die Teilprivatisierung der Abfallentsorgungsgesellschaft Märkischer Kreis (AMK) genannt: Aloys Steppuhn, Robert Schüwer, Hellmut Trienekens, Müllmulti aus Viersen, der sich mit seinem Tochterunternehmen Edelhoff und dem Entsorger Lobbe (beide Iserlohn) als Bietergemeinschaft um den Zuschlag bewarb - und natürlich Dr. Haupt.
Wenige Monate nach der Berlin-Reise war Steppuhn am Ziel seiner Träume - und Haupt auch. Die Bürger des Märkischen Kreises hatten den Sozialdezernenten zum neuen Landrat gewählt. Rot-Grün in Bund und Land hatten durch eine Serie von Fehlern die Union erst stark gemacht. Haupts finanzielle Unterstützung für den Wahlkampf und die Spende an den CDU-Kreisverband - insgesamt rund 38.600 Mark - waren nicht in den Sand gesetzt. Handschriftlich ist in den Ermittlungsakten auf einem DIN-A4-Blatt die Bankverbindung des CDU-Kreisverbandes Mark mit der Summe von 20.000 Mark festgehalten. Wirtschaftlich verbucht wird die Spende über die Bauabfall-aufbereitungs- und Verwertungsgesellschaft Vorpommern, zu der Haupt Verbindungen unterhielt. Den Geldfluss hatte die Union lange unter der Decke gehalten und erst vor wenigen Wochen zugegeben, als sich ihr Kreisvorsitzender Bernd Schulte in eine Sackgasse manövriert hatte - zu einem Zeitpunkt, als Haupts Rolle längst im Zentrum der Oppositionskritik stand.
Der agile Ex-Dezernent Haupt weiß, was sich gehört. Zur Landratswahl erhält Steppuhn von der IKW einen Blumenstrauß für 61,20 Mark. Etwas tiefer muss der Gönner für die Werbekampagne der Agentur Kolöchter und Partner in Schwerte in die Tasche greifen (18.586,78 DM), die den an alle Haushalte verteilten Flyer zur Landratswahl erstellt hatte. Anfang Dezember ´99 trafen sich die Matadore, darunter Fraktionschef Thomas Gemke und Geschäftsführer Uwe Scholz und natürlich Steppuhn und Haupt in Schwerte, um den Sieg zu feiern - die Staatsanwaltschaft war noch fern. In der Folgezeit verging kaum ein Monat, wo sich die Spitzen des Kreises nicht mit dem Trienekens-Spezi Haupt getroffen hätten. Mal gibt es einen Verzehrbeleg über knapp 400 Mark, den Gastgeber Haupt übernimmt, mal geht eine Rechnung des Hotels Vier Jahreszeiten in Iserlohn über 605 Mark an die IKW, mal ist Haupt hier, mal dort. Im September 2000, vier Monate vor dem Ausschreibungsverfahren der AMK, kommt es zum Gipfeltreffen zwischen Müllwirtschaft und Kreisverwaltung. Im Kölner La Vita, einem italienischen Restaurant, treffen sich Trienekens, Haupt und Steppuhn zum Sechs-Augen-Gespräch. 698 Mark kostet der Informationsaustausch - allein zwei Flaschen Weißwein schlagen mit 298 Mark zu Buche. Ein derartiges "mittägliches Arbeitsessen" gehöre für ihn als Landrat zum politischen Tagesgeschäft, erklärte Steppuhn gestern. "Ähnliche Treffen gab und gibt es dementsprechend ebenso mit Vertretern anderer Unternehmen, auch von privaten Entsorgungsträgern." Es sei um die Stärkung des Iserlohner Edelhoff-Standortes gegangen. Wer gezahlt habe, wisse er heute nicht mehr. Haupt war´s.
Bereits im Juli 2000 taucht ein alter Bekannter auf, der bislang in Sachen Müll nicht auffällig geworden war: Konrad Lorenzen. Vom 1. Mai 1967 bis zum 30. September 1988 war er Geschäftsführer der Mark Sauerland beziehungsweise der Nachfolgerin MVG. Anschließend leitete er bis zu seiner Pensionierung 1998 als kaufmännischer Direktor die Berliner Verkehrsbetriebe. Als Ruheständler legte er nicht die Hände in den Schoß. In den Ermittlungsunterlagen findet sich ein Hinweis, dass sich Lorenzen, Schüwer und Haupt im Juli 2000 im damaligen Queens Hotel in Lüdenscheid getroffen haben. Am gleichen Tag hatte sich Professor Max Dohmann beim Kreis vorgestellt. Auch der Wissenschaftler galt als Intimus von Trienekens und er sollte das Gesamtkonzept zur zukünftigen Organisation der Abfallentsorgung im Märkischen Kreis erstellen. Dabei wollte er nicht nur Gespräche mit Kommunen und Gremien des Kreises führen, sondern auch mit denkbaren Partnern für eine Privatisierung der AMK. Besonders ausführlich fielen dabei die Gespräche mit Trienekens aus. Für seine Dienste kassierte er einen sechsstelligen Betrag vom Kreis, obwohl die AMK korrigierend eingreifen musste, da der Professor zu offensichtlich auf Trienekens zugesteuert war.
Dohmann hatte im Vergabeverfahren einen Platz an der Sonne. Als Mitglied der Kommission beim Kreis, geleitet von Kreisdirektor Michael Rolland und gesteuert von Kämmerer Schüwer, hatte er Kenntnis über die Angebote aller Bieter. Die Kontaktpflege lief wie geschmiert. Das Leistungsangebot des Professors ging nicht allein an den Landrat, sondern auch an Haupt. Wie aus den der Redaktion vorliegenden Unterlagen hervorgeht, bekam Dohmann wiederum die Expertisen von Lorenzen zugestellt. Auftragsgemäß hatte er eine komplette Unternehmensbewertung der AMK vorgenommen. "Ich würde mich freuen, wenn es ihnen gelingt, das Projekt zu einem guten Ergebnis zu führen." Kein Wunder, dass zu Weihnachten 2000 auch er auf der Geschenkeliste stand und wie im Hause Steppuhn ein Rechtschreib-Duden auf seinem Gabentisch lag. Der Ex-Abfalldezernent wiederum konnte sich finanziell voll auf Trienekens verlassen, Hotelrechnung und Bewirtung waren geradezu "Peanuts". Nach dem Task-Force-Bericht kassierte er für die "laufende Beratung" knapp 675.000 Euro, Haupts Anwalt spricht von 319.046 Euro. Auch Dohmann und der ebenfalls für den Märkischen Kreis tätige Rechtsanwalt Boesen, der das Vergabeverfahren juristisch begleitete, durften während des laufenden Verfahrens auf die Finanzhilfe des Viersener Multis zählen. Der Wissenschaftler sollte 110.000 Mark, der Jurist 150.000 Mark erhalten. Für was? Obwohl beide unter der Honorarflagge des Kreises segelten - Boesen stellte rund 400.000 Mark in Rechnung -, trafen sie sich im Sommer 2001 mit dem Trienekens-Vertrauten Haupt. Wegen kartellrechtlicher Bedenken klappte der Deal letztlich nicht, Edelhoff zog sich zurück.
Trotz klarer Hinweise, die zum Teil von der ebenfalls gegen Haupt ermittelnden Kölner Staatsanwaltschaft kamen, gab die in diesem Fall tätige Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum nur mäßig Gas. Ganz anders dagegen die Beschuldigten Steppuhn und Schüwer, die damit rechneten, dass die Akten schnell zugeklappt würden - spätestens im August/September. Warum Bochum, sonst eine zupackende Behörde, nur so langsam Tritt fasste, bleibt rätselhaft. Klar ist dagegen, dass es sportliche und gesellschaftliche Verbindungen zur CDU-Kreistagsfraktion gibt. Leitender Oberstaatsanwalt und Behördenchef Bernd-Rüdiger Schulte war nicht nur Tennispartner von Manfred Rahmede. Die beiden Lüdenscheider gehören auch den Rotary Clubs der Stadt an - Schulte dem Rotary Club Lüdenscheid, Rahmede dem jüngeren Verein Lüdenscheid- Mark. Clubübergreifende Kontakte sind dabei ausdrücklich erwünscht.
Zurück zum Landrat: Im September 2001 erließ er eine Dienstanweisung zur Verhinderung von Korruptionsdelikten beim Märkischen Kreis. Unter Punkt 4 "Annahme von Belohnungen und Geschenken" heißt es beispielsweise, dass weder Ausflüge und Reisen noch unentgeltliche Bewirtungen angenommen werden dürfen. Darüber hinaus "darf der Beschäftigte auch keine Amtshandlungen vornehmen, durch die er sich selbst oder einem Angehörigen einen Vorteil verschaffen würde. Dadurch wird bereits der ´böse Schein´ einer möglichen Parteilichkeit vermieden." Verstöße, so heißt es in der Anweisung, können bis zur Kündigung geahndet werden. Gegen Aloys Steppuhn und Robert Schüwer wird derzeit wegen Vorteilsannahme ermittelt.
Lüdenscheider Nachrichten, 27.09.2003