Korruptionsaffäre: Aus Sümpfen werden Pfützen

Koalition mit schlechtem Krisenmanagement

Von JÜRGEN KOCHINKE

Dresden. Als Mitte Mai die ersten Berichte über kriminelle Netzwerke und Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes die Runde machten, war die Aufregung in Sachsen groß. Innenexperten schoben Wochenenddienst außer der Reihe. Und auch die Politik reagierte prompt. Landtagsabgeordnete fast aller politischen Lager forderten Aufklärung über das, was in Rede stand: eine wilde Melange aus Vorwürfen und Gerüchten – von dubiosen Immobiliendeals in Leipzig über Kindesmissbrauch bis hin zu verwickelten Justiz- und Polizeibeamten.

Gewaltige Affärendynamik

Das ist mittlerweile drei Monate her, und die Lage hat sich beruhigt. Zwar flackert zuweilen der alte Streit zwischen Linken und Unionschristen auf, die Politik aber hat das brisante Thema heruntergefahren. Die neue Lesart lautet: Es sei genug mit der Affäre, Deeskalation sei das Gebot der Stunde. Klar erkennbar dabei ist der Wille der CDU-Spitzen, die Geschichte abzumoderieren. Sachsen sei kein Sumpf, wird nicht zuletzt Regierungschef Georg Milbradt (CDU) nicht müde zu betonen – und dahinter steht die Überzeugung: Nicht einmal Feuchtgebiete seien erkennbar, höchstens Pfützen. Der Rest sei Aufgabe externer Kontrolleure und der Ermittler in der Justiz.

Dieses Ansinnen ist durchaus verständlich. Selten hat eine Sammlung aus den Panzerschränken der Schlapphüte eine solche Affärendynamik entwickelt. Obwohl nur ein kleiner Kreis von vielleicht 15 Eingeweihten den Inhalt der Akten kannte, überschlugen sich nach den Veröffentlichungen die Ereignisse. Erst erklärte Frank Kupfer (CDU), immerhin Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, so etwas kenne er „nur aus schlechten Krimis“. Dann legte Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) mit seiner Mafia-Warnung vor dem Landtag nach. Und der Eindruck, der sich bundesweit breit machte, war: Sachsen liegt kurz vor Sizilien, die Organisierte Kriminalität (OK) hat den Freistaat fest in ihrem Griff.

Problematische Tippgeber

Dabei war die Gemengelage stets diffus. Verschwommen war nicht nur, wer Täter sein könnte und wer Opfer. Problematisch waren auch die Quellen der Verfassungsschützer selbst. Denn die Geheimen verfolgen mögliche Straftaten nicht, sondern prüfen nur die Glaubwürdigkeit ihrer Tippgeber. Was diese V-Leute aber motiviert, bleibt per se im Dunkeln, und strafrechtlich relevant ist vieles davon sowieso nicht.

Eben dies hat zu heftiger Lagerbildung geführt, nicht nur in der Politik zwischen Opposition und Regierung, auch in der veröffentlichten Meinung. Klar zeichnen sich mittlerweile einige Konsequenzen ab. So sind gegen den Willen von Sachsens oberstem Datenschützer Andreas Schurig die 100 Ordner mit 15 600 Blatt Papier nicht in den Schredder gewandert, sondern werden der Staatsanwaltschaft übergeben. Und nach heftigem Streit hat sich auch Milbradt damit abgefunden, dass ein Untersuchungsausschuss das Feld beleuchtet – womöglich bis in den Wahlkampf 2009 hinein.

Entscheidend war dabei der regierungsamtliche Einsatz von Klaus Fleischmann und Reinhard Boos. Nachdem die Affäre knapp zwei Monate ungebremst Schlagzeilen erzeugte, legten der Innenstaatssekretär und der neue Verfassungsschutzchef von Sachsen Anfang Juli den Schalter in der Geschichte um. Ihre Nachricht lautete: Es habe Fehler und Lügen im Geheimdienst gegeben, die Quellen seien vergiftet. Das hatte gravierende Folgen. Ging es in den ersten Wochen um mögliche Netzwerke, so war mit dem Offenbarungseid der beiden Innenexperten aus der OK- eine Verfassungsschutz-Affäre geworden; nicht mehr die Aussagen geheimer Quellen standen nun im Zentrum, sondern der Umgang damit. Dabei gibt es durchaus Leute, die das bedauern, auch in den Reihen der CDU. „Dass wir in Deutschland eine starke OK haben im Be- reich Drogen, Kinderpornografie und Waffenschmuggel – daran kann gar kein Zweifel bestehen“, sagte zum Beispiel Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) vor einigen Wochen.

Das hat wohl auch die Sachsen-Union einige Zeit so gesehen. Wochenlang hat CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer keine Gelegenheit versäumt, Bemerkungen zur Affäre mit einem Seitenhieb auf die SPD-Hochburg Leipzig zu würzen. Dass dabei weniger die kleine SPD als die führende CDU Schaden nehmen könnte – das hat die Union erst später erkannt. Was bleibt, ist ein Image-Problem für Sachsen als Musterländle des Ostens und die Erinnerung an die Untiefen der Politik. Denn ohne das schlechte Krisenmanagement der Regierung hätte die Affäre erst gar nicht bundespolitische Fallhöhe erreicht. Das erklärt zum Teil auch die heftigen Attacken, die die Union jetzt gegen den stasibelasteten Untersuchungsausschus-Chef Klaus Bartl (Linke) fährt. Für einige hat die Affäre persönliche Folgen. Ganz vorn zu nennen ist Martin Klockzin von der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft, der Mitte Juni seinen Hut nehmen musste – wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Hinzu kommt Rainer Stock, der als Chef der Verfassungsschützer aus dem Rennen genommen wurde. Und auch die ehemalige Leiterin des OK-Referats im Geheimdienst dürfte kaum zu halten sein. Ungemach droht ebenso einem Ex-OK-Ermittler bei der Leipziger Polizei. Doch auch in der Politik gibt es Verlierer. Angeschlagen ist nicht zuletzt Buttolo – und das, obwohl sich der Baumeister der sächsischen Kreis- und Verwaltungsreform inzwischen von seiner Mafia-Rede distanziert hat.

Leipziger Volkszeitung, SACHSEN und MITTELDEUTSCHLAND, Seite 5, 21.08.2007


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