Mörtl-Affäre: Ermittlungen in zwei Verfahren

Verdacht auf Korruption und unerlaubtes Betreiben einer Anlage

Von DOMINIC WELTERS

Delitzsch. Vor der heutigen nichtöffentlichen Sondersitzung des Delitzscher Stadtrats zur Affäre um den im September 2005 entlassenen Technische-Werke-Chef Lutz Mörtl sind Hintergründe zu den jüngsten Durchsuchungen von Stadtfirmen bekannt geworden. Demnach ermitteln die Antikorruptions- einheit Ines aus Dresden und die Staatsanwaltschaft Leipzig in zwei getrennten Verfahren. Die Ines geht dem Vorwurf nach, Mörtl könne in „mehrere Korruptionsdelikte“ verstrickt sein – womit die bislang öffentlich ins Feld geführten Kündigungsgründe gemeint sind. Bekanntlich hatten die Stadtwerke den 50-Jährigen vor die Tür gesetzt, weil dieser eine private Russlandtour samt Bärenjagd als Dienstreise deklariert und einen zweiten Dienstwagen der Freundin zur Verfügung gestellt haben soll. Mörtl bestreitet die Vorwürfe und hat auf Wiedereinstellung geklagt.

Im zweiten Verfahren gehen Leipziger Ermittler seit diesem Frühjahr der Frage nach, ob Mörtl und ein Mitarbeiter des Holzkontors „unerlaubt eine Anlage betrieben haben“, womit Staatsanwalt Ricardo Schulz einen Bericht der Kreiszeitung aus der Vorwoche bestätigte. Damit sei die Verwendung von Müll als Brennstoff im lediglich für Althölzer mit maximal drei Prozent Störstoffen genehmigten Biomassekraftwerk (BMKW) gemeint.

Wie berichtet, hatten sich Fahnder aus Dresden und Leipzig dieser Tage in Büros der Technischen Werke, der BMKW GmbH und der Holzkontor Sachsen GmbH umgesehen und Unterlagen beschlagnahmt. Dass eine vom Delitzscher Oberbürgermeister und Stadtwerke-Aufsichtsratschef Heinz Bieniek (CDU) vor einigen Monaten erstattete Anzeige, in dem Kraftwerk würden vermutlich ungenehmigte Brennstoffe verarbeitet, zu dem zweiten Verfahren führte, bestätigte Schulz nicht: „Die Anzeige von Herrn Bieniek war nicht ursächlich für unsere Ermittlungen. Sie ergaben sich aus der Arbeit der Ines.

Leipziger Volkszeitung, 13.07.2006, Titelseite


Im Visier der Staatsanwälte

Ex-TWD-Chef Lutz Mörtl beschäftigt Ermittler aus Dresden und Leipzig – und heute den Stadtrat

Von DOMINIC WELTERS
Da war die Welt noch in Ordnung: Ex-TWD-Geschäftsführer Lutz Mörtl (stehend Dritter von links) bei der Übergabe des Biomassekraftwerks im Oktober 2004.

Foto: Manfred Lüttich

Delitzsch. Wenn heute um 17 Uhr der Stadtrat zu einer nichtöffentlichen Dringlichkeitssitzung zusammenkommt, dann wird es einmal mehr um die leidige Affäre Lutz Mörtl gehen. Einziger Tagesordnungspunkt: Nachschieben von Kündigungsgründen im Arbeitsrechtsstreit Stadtwerke Delitzsch (SWD) gegen den am 23. September 2005 geschassten damaligen Mehrfach-Geschäftsführer bei unmittelbaren Stadt-Firmen und Unternehmen mit kommunaler Beteiligung, darunter die Technischen Werke Delitzsch (TWD).

Bislang wurden Mörtl eine 14.000 Euro teure Russlandreise, ein zweiter Dienstwagen und edle kubanische Zigarren zur Last gelegt (wir berichteten). Die Tour in den tiefsten Osten sei als Dienstreise verbucht worden, obwohl das Privatvergnügen Bärenjagd im Vordergrund stand, und mit dem Audi A8 sei immer nur Mörtls Freundin durch die Gegend gekurvt, hieß es vorwurfsvoll von Seiten der Kommune. Der 50-Jährige streitet all dies ab, sieht sich als Opfer einer Kampagne und hat auf Wiedereinstellung geklagt. Längst wird verhandelt. Im Oktober will der Richter Recht sprechen.

Mehrfach korrupt?

Was sich hinter dem „Nachschieben von Kündigungsgründen“ verbirgt, wird im Delitzscher Rathaus wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Nach Einschätzung von Beobachtern dürften die jüngsten polizeilichen Durchsuchungen in Büros der Stadtwerke-Tochter TWD, der Biomassekraftwerk GmbH (BMKW) und der Holzkontor Sachsen GmbH, angeordnet von der Dresdner Anti-Korruptionseinheit Ines (Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen) und der Staatsanwaltschaft Leipzig, der Grund für die Sondersitzung sein. Die Ines-Ermittler recherchieren „wegen mehrerer Korruptionsdelikte“, wie Staatsanwalt Christian Avenarius gestern sagte, ohne Details nennen zu wollen. Die Leipziger Kollegen interessieren sich derweil seit diesem Frühjahr für den Verdacht des „unerlaubten Betreibens einer Anlage“ – sprich: für illegales Verbrennen von Müll im BMKW, in dem nur aus Althölzern der Kategorien I bis IV (Bio-)Strom gewonnen werden darf. Staatsanwalt Ricardo Schulz: „Der Tatvorwurf hat sich aus den Ermittlungen der Ines ergeben. Wir behandeln quasi die umweltrechtliche Seite.“ Als Tatzeitraum gab Schulz den 1. September 2004 bis 31. August 2005 an. Es werde in diesem Zusammenhang noch gegen eine zweite Person aus dem Holzkontor ermittelt – „gegen einen Mitarbeiter wegen Beihilfe“.

Eon-Mann informiert?

Kenner der Branche wollen derweil wissen, dass im BMKW und dem vorgeschalteten Holzkontor schon weit vor der Mörtl-Entlassung über fremdartigen Abfall in der Brennkammer geredet wurde. Nach Informationen der Kreiszeitung soll die Eon Thüringer Energie AG, die 25,1 Prozent Anteile an Stromerzeuger TWD und 30,4 Prozent am Biomassekraftwerk hält, bereits Anfang 2005 von Unregelmäßigkeiten Wind bekommen haben. Zumindest, so sagen Insider, die anonym bleiben wollen, sei der neben Mörtl zweite Holzkontor-Geschäftsführer Karl Schreier von dem Problem in Kenntnis gesetzt worden. Olaf Werner, Sprecher der Eon Thüringer Energie AG aus Erfurt, wies dies nach Rücksprache mit Schreier energisch zurück: „In seiner Amtszeit gab es keine Beweise für illegale Müll-Lieferungen.

Dennoch fällt auf, dass Mörtl und Schreier, als die Delitzscher Brennstoff-Krise ruchbar zu werden drohte, die Holzkontor-Führung abgaben. Mörtl wurde in dieser Funktion am 1. August 2005 durch Horst Miketta – Ehemann von Rechtsamtsleiterin Beate Miketta – ersetzt, Schreier schied etwa zur selben Zeit aus. Er ist momentan Geschäftsführer des Weimaer Telekommunikationsunternehmens Thüringer Netkom GmbH, deren Gesellschafter die Eon Thüringer Energie AG ist.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 13.07.06, Seite 3



STANDPUNKT


Weich geklopft

Von DOMINIC WELTERS

Nichts Genaues weiß man nicht, wenn es um den Fall Mörtl, seine Hintergründe und die Tristesse bei den Technischen Werken Delitzsch geht. Gerüchte und Vermutungen gibt es viele, offenliegende Fakten so gut wie keine. Vielleicht bekommen die Stadträte vom Oberbürgermeister ja heute Abend mal was Substanzielles geboten. Zu wünschen wäre es ihnen, denn sie tragen in einem nicht unerheblichen Maße Verantwortung für den Zustand der Großen Kreisstadt. Das Biomassekraftwerk im Industriegebiet Südwest, diese einst als potenzielle Gelddruckmaschine gepriesene Biostromfabrik, die mehr als 50 Millionen Euro verschlang, haben sie geschluckt – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass sie Ertrag bringt. Doch nach dem Durcheinander um aufgelöste Interwood-Verträge, ruckzuck aus dem Boden gestampfte Holzkontore, zweifelhafte Brennstoff-Beschaffung, der Mörtl-Entlassung und zuletzt fristlos gekündigter Arge-Kontrakte sind die Verantwortlichen am Lober weich geklopft und wollen das auf Pump errichtete BMKW lieber heute als morgen los sein. Um die Realisierung kümmern sich gerade Eon-Mitarbeiter. Die Hoffnung der Rathaus-Spitze: Der große Bruder wird’s schon richten. Ob dies zum Wohle der Stadt geschieht? Nichts genaues weiß man nicht.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 13.07.06, Seite 3


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