Landkreis wie ein Ameisenhaufen

Pläne für eine Sondermülldeponie im Landkreis brachte vor zehn Jahren die Leute auf die Beine

Von Edith Dorothea Klisa

Delitzsch. Am 25. Juli 1993, einem Sonntag, zogen sich nachmittags entlang der B 2 von Krostitz bis zum Roten Haus in der Dübener Heide Proteste: Menschenketten hatten sich gebildet, um gegen eine Sondermülldeponie im Kreis Delitzsch oder Eilenburg zu protestieren - beide Kreise waren vor zehn Jahren noch nicht zusammen geschlossen.

Anfang Juni 1993 hatte eine Mitteilung aus dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung den Landkreis in Aufregung versetzt: Auf der Suche nach dem Standort für eine Sonderabfalldeponie hatte das vom Freistaat Sachsen mit der Untersuchung zum Problem beauftragte Ingenieurbüro die hiesige Region ganz oben auf die Prioritätenliste möglicher Standorte gesetzt. Von elf in ganz Sachsen in die engere Wahl gezogenen Standorten lagen allein neun im Regierungspräsidium Leipzig, fünf davon im Kreis Delitzsch, zwei im Kreis Eilenburg.

Der Landkreis geriet in Bewegung wie ein Ameisenhaufen. Gemeinden meldeten sich mit Widerspruch. Viele Bürger nutzten die Möglich keit, ihre Meinung zu äußern. Bürgerinitiativen traten aufs Tapet. In Versammlungsräumen wurden selbst Stehplätze knapp. Leute gingen auf die Straße. Proteste bekamen eine sehr persönliche Note.

Am 16. Juni jenes Jahres waren die Kommunalpolitiker der betroffenen Kommunen, Interessenverbände und Fachbehörden von dem Vorhaben offiziell informiert worden, einen Standort für "eine umweltverträgliche Entsorgung nicht vermeidbarer Sonderabfälle" zu suchen. "Bodenbeschaffenheit, Nähe zu Wohngebieten, Naturschutzgebiete, Wälder. Gewässer und andere Schutzgüter waren ins Kalkül zu ziehen. Betroffene Kommunen gaben ihre Stellungnahmen ab. Hohenroda führte an, "daß die letzten Großtrappen in Sachsen in unserem Territorium ihren Lebensraum gefunden haben." Die Krostitzer Brauer fürchteten um den guten Ruf ihres Gerstensaftes. Sie hatten einen neuen Mineralwasserbrunnen erschlossen, den sie gefährdet sahen. Die Jäger beklagten den wegen Mangel an Wald als natürlichem Luftreiniger ohnehin benachteiligten Kreis...

Im Herbst war das Thema vom Tisch. Eine Sondermülldeponie hat Sachsen nicht eingerichtet, bestätigt Bernhard Voll, Amtsleiter im Umweltamt des Landratsamtes Delitzsch.

LVZ, 24.07.2003


Hintergrund

Von den zunächst für die nähere Untersuchung im Kreis Delitzsch offiziell benannten möglichen fünf Sondermülldeponiestandorten Kölsa, Krensitz, Wolteritz, Zschernitz und Zschortau waren die Gemarkungen der Gemeinden Freiroda, Hohenroda, Klitzschmar, Kölsa, Krensitz, Krostitz, Pohritzsch, Selben, Wolteritz, Zschernitz, Zschortau und Zwochau betroffen. Die beiden im Kreis Eilenburg in Erwägung gezogenen Standorte Liehmena und Naundorf berührten die Gemeindegemarkungen von Kospa-Pressen und Naundorf West.

edk

LVZ, 24.07.2003