Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe e.V. vom 25.02.2009, 11:28 Uhr

DUH geht im Fall der Schwermetallbelastungen um die Abfallanlage Pohritzsch gegen Aufsichtsbehörden vor

Umweltorganisation kündigt Dienstaufsichtsbeschwerde und Strafanzeige gegen Aufsichtsbeamte in Sachsen an – Behörden wussten seit Monaten von „bleikontaminiertem Staub“ – Unterlassene Warnung der Anwohner auch strafrechtlich relevant – DUH-Bundesgeschäftsführer Resch: „Sachsen verweigert auf dem Weg zur größten Mülldeponie Mitteleuropas seinen Bürgern systematisch ihre Schutzrechte gegen die möglichen Folgen

Berlin, 25. Februar 2009: Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) hat angekündigt, gegen die für die Überwachung der Abfallbehandlungsanlage S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH im nordsächsischen Pohritzsch verantwortlichen Behördenleitern Dienstaufsichtsbeschwerde und zudem Strafanzeige zu stellen. Letzter Auslöser für den Schritt sei das in einer am Montag (23.2) veröffentlichten Pressemitteilung des Landratsamts Nordsachsen in Torgau enthaltene Eingeständnis gewesen, dass das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie bereits Ende 2008 aufgrund eigener Staubniederschlagsmessungen von „Auffälligkeiten“ im Hinblick auf Immissionen von „bleikontaminiertem Staub“ wusste, erklärte die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation. Daraufhin hat das Landratsamt Nordsachsen zwar nach eigenem Bekunden „Bodenproben zur Abklärung von möglichen Bodenbelastungen angeordnet“, diese jedoch nicht sofort durchgeführt. Darüber hinaus wurden die betroffenen Anwohner in keiner Weise über das offensichtliche Risiko informiert.

Erst nach Veröffentlichung der festgestellten Schwermetallbelastungen durch die DUH wurde – über ein Jahr nach den ersten Hinweisen auf Gefahr im Verzuge für Anwohner um die Anlage – gestern durch das Landratsamt Nordsachsen darauf hingewiesen, dass „im unmittelbaren Umkreis der Fa. S.D.R. Biotec Pohritzsch direkte Bodenkontakte möglichst vermieden werden sollten“ und dass außerdem der Verzehr von Wintergemüse vorübergehend eingeschränkt werden sollte.

Das Eingeständnis eines tatsächlichen Risikos hoher Schwermetallbelastungen in dem der Abfallbehandlungsanlage benachbarten Wohngebiet erfolgte von Behördenseite erst, nachdem die DUH Ende vergangener Woche eigene Messungen von Bodenproben veröffentlicht hatte. Darin war der zulässige Bleigehalt um den Faktor sechs und der für das Schwermetall Cadmium sogar um den Faktor elf überschritten gewesen. Bereits seit einem Jahr, konkret seit Februar 2008, weist die Deutsche Umwelthilfe auf die in Fotos dokumentierten Staubemissionen der Abfallbehandlungsanlage hin. Doch anstatt diesen Hinweisen sofort nachzugehen, Bodenproben zu nehmen und den Schwermetallgehalt untersuchen zu lassen, wiegelten die für die Überwachung zuständigen Behörden und das sächsische Umweltministerium mehrfach ab und behaupteten im April 2008 sogar, bei den auf den Fotos deutlich sichtbaren Staubwolken handele es sich um “Wasserdampf“.

Zuletzt am 13. Januar 2009 verlangte die DUH beim Umweltministerium in Dresden Auskunft über die Ergebnisse der Staubimmissionsmessungen. Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 wurden der DUH diese Werte verweigert und darüber hinaus angekündigt, die Untersuchungen würden bis August 2009 verlängert werden, erst danach könne die DUH die Ergebnisse erhalten.

Ebenso unkooperativ verhielt sich das zuständige Regierungspräsidium Leipzig bezüglich der Forderung der DUH, entsprechende Bodenproben zu nehmen. Über Monate hinweg weigerte sich das Regierungspräsidium, die für einen effektiven Gesundheitsschutz der Anwohner zwingend notwendigen Untersuchungen durchzuführen. Zum großen Erstaunen der DUH erhielt aber der Betreiber der Abfallbehandlungsanlage die Auflage, selbst Bodenproben entnehmen und untersuchen zu lassen. Diese Eigenuntersuchungen ergaben wenig überraschend keinen Befund.

"Es hat sich bei der Verkehrsüberwachung bewährt, dass die Polizei die Einhaltung der Verkehrsregeln überwacht. Würde man die in Sachsen offensichtlich übliche Praxis der Selbstüberwachung von Abfallbehandlungsanlagen auf den Straßenverkehr übertragen, so hieße dies, die Autofahrer wären selbst dafür verantwortlich, den Verkehrsbehörden ihre Geschwindigkeitsübertretungen zu melden ", so DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. „Sachsen befindet sich auf dem Weg zur größten Mülldeponie Mitteleuropas und verweigert gleichzeitig seinen Bürgern systematisch ihre Schutzrechte gegen die möglichen Folgen. Was wir erleben, ist der zynische Umgang von Behörden mit der Gesundheit der Anwohner. Risiken werden immer erst dann öffentlich eingestanden, wenn Beweise vorliegen, die oft genug Dritte beibringen müssen, in diesem Fall die Deutsche Umwelthilfe in Kooperation mit den Betroffenen“, sagte Resch.

Hintergrund

Bereits im Februar 2008 hat die DUH das Regierungspräsidium Leipzig auf die hohen Staubbelastungen um die Abfallbehandlungsanlage in Pohritzsch aufmerksam gemacht und Bodenproben gefordert. Bereitgestellte Fotos ließen vermuten, dass die vor Ort vorgefundene Staubbelastung direkt von der Abfallbehandlungsanlage ausgeht. Nach schriftlicher Aussage des Regierungspräsidiums Leipzig wurde die Anlage „regelmäßig überwacht“. Die Behörde habe hinsichtlich der Staubemissionen der Anlage selbst und der Umgebung „keinerlei Beanstandungen festgestellt“. Ohne Bodenproben genommen und analysiert zu haben, stellte das Regierungspräsidium Leipzig der DUH gegenüber fest: „Ein Verdacht auf Gesundheitsgefahr für die Bürger durch die Abfallbehandlung der S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH in Pohritzsch liegt nicht vor“. Auch der damalige Staatsminister Wöller hat auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen im sächsischen Landtag am 17. März 2008 versichert, dass es zur Sammlung von Staubproben in der Umgebung der Anlage „keine Veranlassung“ gäbe.

Auf wiederholte Forderungen der DUH hat das Sächsische Umweltministerium im April 2008 eine Staubmessung durch das Regierungspräsidium Leipzig angekündigt. Bodenanalysen wurden jedoch weiterhin abgelehnt. Daraufhin hatte die DUH selbst drei Bodenproben aus der Umgebung der Anlage analysieren lassen. In der Probe eines angrenzenden Wohngebiets hat ein staatlich anerkanntes Prüflabor Bleikonzentrationen 2.340 Milligramm pro Kilogramm und Cadmiumkonzentrationen von 223 Milligramm pro Kilogramm Trockenmasse festgestellt. Die entsprechenden Grenzwerte für Wohngebiete liegen bei 400 bzw. 20 Milligramm pro Kilogramm Trockenmasse.

Sowohl Blei als auch Cadmium sind sehr giftig und gesundheitsschädigend. Blei schädigt über einen langen Zeitraum schon in niedrigen Konzentrationen die Nerven. Laut Umweltbundesamt stehen die neurotoxischen Effekte beim Menschen durch Bleivergiftungen im Vordergrund. Bei Cadmium sind langfristig Schädigungen der Nieren zu erwarten. Beide Metalle sind auch krebsauslösend. Untersuchungen lassen u. a. auf ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko nach langjähriger Exposition von hohen Cadmiumkonzentrationen in Form atembarer Stäube schließen.

Für Rückfragen:

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil.: 0171 3649170, resch@duh.de

Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin Tel.: 030 24 00867-41, 0160 533 73 76, elander@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse DUH, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil: 01715660577, Tel.: 0302400867-21, Fax: 0302400867-19 rosenkreanz@duh.de

Deutsche Umwelthilfe e.V., 25.02.2009


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