Die Verwertungslüge

Ein Beitrag von Sieghard Weck

Mit der im Jahr 2005 gesetzlich neu geregelten Abfallentsorgung ist seitdem zwingend vorgeschrieben, dass nur noch vorbehandelter Restabfall deponiert werden darf. Die damit verbundenen höheren Entsorgungskosten sind vorrangig von den Gebührenzahlern über steigende Gebühren zu bezahlen.

Bei der Vorbehandlung mittels mechanisch-biologischer Anlagen (MBA) fallen in beträchtlichem Maße (bis zu ca. 45 % der Gesamtmenge) sogenannte heizwertreiche Fraktionen (HWRF) an, die z.B. als Ersatzbrennstoffe (EBS) zur Substitution fossiler Brennstoffe verwertet werden müssen.

Die effiziente Gestaltung dieser Entsorgungs- und Verwertungsprozesse ist eine anspruchsvolle Managementaufgabe und eine Herausforderung für die zuständigen kommunalen Verwaltungen.

Seit Jahren ist bekannt, dass die zur Verwertung der HWRF erforderlichen Investitionen an den dafür geeigneten Standorten erst noch geschaffen werden müssen. In diesem Zusammenhang hätten im Vorfeld vor allem die Rahmenbedingungen für die Anpassung der diesbezüglichen Marktmechanismen vor allem durch realistische Preisgestaltungen neu konzipiert bzw. neu strukturiert werden müssen. Zusätzlich war von Anfang an klar, dass erhebliche Forschungsanstrengungen nötig sind, um insbesondere die Verwertungstechnologien rechtzeitig zur Marktreife zu bringen.
Seit mehr als 10 Jahren werden diese Aufgabenstellungen u.a. im Verbund mit z.T. externen Beratern bzw. mit Lobbyisten für „altes Denken“ bearbeitet. Aber ohne schlüssige Konzepte sind zielführende Ergebnisse nicht zu erwarten. Stattdessen muss konstatiert werden, dass durch kurzfristig angelegte „Scheinlösungen“ vorhandene Chancen zumeist verdrängt und damit nicht genutzt worden sind. Folglich mussten die daraus resultierenden Probleme früher oder später verschärft offenkundig werden. Heute zeigt sich das Dilemma u.a. darin, dass Zwischenlager für HWRF angelegt werden müssen, um die vorgelagerten MBA-Behandlungskapazitäten nicht zu blockieren und damit die Abfallentsorgung mittels MBA überhaupt noch sicherstellen zu können.

Exemplarisch zeigt sich dieses Dilemma bei der MBA Cröbern, die seit Juni 2005 vom Zweckverband Abfallwirtschaft Westsachsen (WEV) betrieben wird. Anfangs mussten die HWRF bis zur Kapazitätsgrenze vor Ort in Cröbern zwischengelagert werden. Seit etwa Mitte 2006 wurden die in Cröbern zwischengelagerten HWRF ins Kurzzeitzwischenlager Spröda umgelagert. Weitere HWRF werden seitdem vorrangig in Kooperation mit den Kreiswerken Delitzsch (KWD) auf weitere Zwischenlager verbracht. Die diesbezüglichen befristeten Genehmigungen verlangen zwingend, dass danach unverzüglich die relevanten Verwertungen erfolgen müssen.
Dementsprechend wurden in der aktualisierten Abfallgebührensatzung, die vom Kreistag des Landkreises Delitzsch im Dezember 2006 beschlossen wurde, exorbitant hohe Gebühren festgesetzt. Obwohl die in der Kalkulation offenbar veranschlagten umfänglichen Verwertungen noch gar nicht erfolgen können, werden hierfür bereits Gebühren wirksam eingefordert. Da vom WEV an die KWD für jede abgenommene Tonne HWRF ein Preis von 90 Euro gezahlt wird, müssten sich diese Einnahmen eigentlich gebührensenkend auswirken, solange die Aufwendungen für die entsprechende Verwertung als EBS noch gar nicht wirksam werden können. Lt. RP Leipzig sollen nach einer uns bislang nicht bekannten Konzeption erst ab 2009 Verwertungskapazitäten für 300.000 t/a HWRF zur Verfügung stehen. Es ist sehr fraglich, ob dies überhaupt realisiert werden kann bzw. tatsächlich realisiert werden soll.

Folglich sind die o.g. Einnahmen für die Übernahme der HWRF aus Cröbern als Liquiditätsüberschuss zum Vorteil der KWD bis 2009 zu bewerten. An diesem Vorteil müssen natürlich auch die Gebührenzahler durch angemessene Gebührensenkungen beteiligt werden.

Neben anderen maßgeblichen Gründen muss vor allem diese Tatsache Anlass sein, sofort die derzeitig gültige Abfallgebührensatzung nachvollziehbar sowie angemessen zu präzisieren, damit unter Berücksichtigung der aktuellen Fakten eine akzeptable neue Satzung durch den Kreistag zeitnah beschlossen werden kann.

Falls neben dem Landkreis Delitzsch auch noch andere Landkreise von den praktizierten Zwischenlagerungen zeitweilig profitieren sollten, so müssen auch dort die entsprechenden Entscheidungen zum Vorteil der Gebührenzahler getroffen werden.


Die nachfolgende Fotodokumentation vom Zeitraum August 2006 bis Juni 2007 repräsentiert lediglich eine kleine Auswahl unserer zahlreichen Fotodokumente.
Diese Fotos zeigen, wie Ballen der HWRF an den jeweils genannten Standorten zwischengelagert worden sind. Klar zu erkennen ist, welches Ausmaß die Zwischenlagerungen von großen Mengen an HWRF gegenwärtig bereits erreicht hat.

Bildergalerie

mit Bilduntertexten von Dietmar Mieth

1. Mechanisch-Biologische Anlage des WEV in Cröbern

Ballenlager in Cröbern

Zwischenlagerung der heizwertreichen Abfälle in ballierter Form. Im Hintergrund sind die Kühltürme des Kraftwerkes Lippendorf zu sehen. Vom Kraftwerksbetreiber wurde in den Jahren 2002/2003 eine Verwertung der in Cröbern anfallenden HWRF avisiert. Bei Umsetzung dieses Projektes wäre eine für den Müllgebührenzahler kostengünstigere Entsorgung möglich gewesen. Doch pikanterweise stellten sich der Delitzscher Landrat Czupalla und der damalige Bürgermeister Leipzigs und in Personalunion Aufsichtsratsvorsitzender des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Westsachsen, Herr Holger Tschense, gegen diese ökonomisch sinnvolleren Pläne. Sie unterschrieben am 11. Juni 2002 eine Gemeinsame Erklärung des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Westsachsen (ZAW) und des Landkreises Delitzsch. Resultat: Die Lippendorfer Anlage scheiterte aus Mangel an vertraglich zu bindender HWRF. Zu bemerken sei hierbei, dass der Landkreis Delitzsch im Jahre 1999 aus dem ZAW austrat und kurze Zeit später eine „eigenständige Lösung“ der Abfallentsorgung in Form einer Müllverbrennungsanlage in Delitzsch-Südwest favorisierte. Die hochdotierten Berater der Kreiswerke scheinen ganze Arbeit geleistet zu haben. Die Belange der Müllgebührenzahler bleiben jedoch auf der Strecke.

2. Zwischenlager auf der Industriedeponie Freiheit III nahe Bitterfeld

Zaun Eingangsschild Zaun

Die MDSE (Mitteldeutsche Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft mbH) betreiben in der etwa einen Kilometer südlich von Bitterfeld gelegenen Industriedeponie Freiheit III (ehemalige Grube Auguste) ein Zwischenlager für ballierte Abfälle. Das zuständige Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt genehmigte eine maximale Lagermenge von 300.000 Tonnen. Die Kreiswerke Delitzsch GmbH haben sich hier die Verbringung von mehreren zehntausend Tonnen HWRF mittels Vertrag gesichert.

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Bei Anlieferung mittels LKW (mit Schiebeboden-Aufliegern) wird im 20-Minuten-Takt die Deponie Freiheit III angefahren. Damit verbringen die Kreiswerke derzeit fast die gesamte Menge der in der MBA Cröbern anfallenden heizwertreichen Abfälle auf dieses Deponiegelände. Darüber hinaus ist auch die teilkommunale Abfallwirtschaft Torgau-Oschatz GmbH (A-TO) an der Befüllung des Lagers beteiligt. Zumindest in der Abfallwirtschaft scheint die Zusammenarbeit der Landkreise Torgau und Delitzsch bereits zu funktionieren.

3. Kurzzeit-Zwischenlager auf der Deponie Spröda

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Durch die Ladevorgänge in Verbindung mit dem Greifen der Bündel mittels Ballenzange werden in der realen Praxis die Wickelfolien beschädigt.
Beschädigte Bündel (0,5 % der Gesamtmenge lt. Antragsunterlagen der KWD) dürften eigentlich nicht eingebaut, sondern müssten lt. Genehmigungsunterlagen „sofort zur Verarbeitung in die Ersatzbrennstoffproduktionsanlage der KWD nach Delitzsch-Südwest“ verbracht werden. Doch Theorie und Praxis stimmen auch hier nicht überein.

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Bis 21.11.2007 muss lt. Genehmigungsbescheid des RP Leipzig das Lager vollständig beräumt sein. Die Antragstellung der KWD sieht die vollständige Verbringung des unter der 50 cm Erdschicht begrabenen Abfalls in eine derzeit zwar durch das Landratsamt Bernburg genehmigte, aber noch nicht gebaute „Brennstoffproduktionsanlage der KWD am Standort Bernburg“ auf dem Gelände der Firma Schwenk-Zement vor. Man muss allerdings konstatieren, dass die besagte Anlage selbst bei zeitnaher Fertigstellung durch ihre geringe Verarbeitungskapazität in Höhe von 66.000 Tonnen/Jahr bzw. 264 Tonnen/Tag technisch überhaupt nicht in der Lage wäre, die fristgerechte Beräumung des Sprödaer Zwischenlagers zu ermöglichen.
Fraglich bleibt weiterhin, ob die Fa. Schwenk die aus heizwertreichen MBA-Abfällen hergestellten „Ersatzbrennstoffe“ zukünftig überhaupt einsetzen kann (oder will).

4. Zwischenlager auf einem Deponiegelände bei Senftenberg

Auf das Deponiegelände der Fehr Umwelt Ost GmbH, Betriebshof Senftenberg, Ackerstraße, verbrachten die Kreiswerke Delitzsch im Sommer 2006 etwa 5000 Tonnen aus der MBA Cröbern stammende heizwertreiche Abfälle. Vertraglich ist die Verbringung von 10.500 Tonnen möglich. Die enorme Transportentfernung von ca. 120 Kilometer scheint kein Hinderungsgrund für derartige Geschäfte zu sein.

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Erste Pilze sprießen aus den defekten Bündeln.

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Alles Genehmigungskonform?


Die nachfolgenden Bilder zeigen, wie die abgelagerten heizwertreichen Abfälle bereits nach ca. 10 Monaten aussehen. Es ist offensichtlich, dass dieses Material für die Produktion qualitativ hochwertiger Ersatzbrennstoffe keinesfalls mehr verwendet werden kann.

zum vergrößern bitte anklicken

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Die mutmaßlich von den KWD im Sommer 2006 herangekarrten Abfälle (mit weißer Folie eckige Ballen) beginnen die von fachkundigen Bürgern vorhergesagte Eigendynamik zu entwickeln.

5. Langzeit-Zwischenlager auf dem Gelände der Deponie Spröda

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Das Langzeit-Zwischenlager ist im südöstlichen Bereich der Deponie Spröda auf der bisher für die Recyclinganlage genutzten Fläche geplant.

Die Kreiswerke Delitzsch GmbH beantragten beim RP Leipzig im Juli 2006 die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Langzeit-Zwischenlagers für heizwertreiche Abfälle der MBA Cröbern. Das Lager soll eine Gesamtkapazität 200.000 Tonnen erreichen und lt. Antragstellung bis Ende 2009 betrieben werden. Es handelt sich hierbei um ein UVP-pflichtiges Vorhaben mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Deshalb wurde am 08. März 2007 in öffentlicher Sitzung die diesbezügliche Erörterung durchgeführt.

Im Nachfolgenden lesen Sie einen Auszug aus dem Wortprotokoll zur vorgenannten Erörterung.

Herr Dr. Volker Kunze, Technischer Leiter der KWD sagte:
… Also das ist jetzt einmal die Vorstellung des Sachverhaltes. Wir sammeln ja im Landkreis Delitzsch die Siedlungsabfälle, sprich Hausmüll und Sperrmüll ein. Sie kommen auf die Umladestation in Spröda und werden von dort aus mit den über 90 m3 Schubbodenfahrzeugen zur MBA nach Cröbern gefahren. Ein Produkt der MBA ist die heizwertreiche Fraktion. Von dieser heizwertreichen Fraktion wird ein Teil in Delitzsch-Südwest verarbeitet. Der wesentlich größere Teil muss aber in ein Zwischenlager, denn er kann erst in dem Neubau Bernburg, welcher 2008 in Betrieb geht, welcher Brennstoff für die Vorkalzinatorfeuerung herstellt und in Kraftwerken zur Mitverbrennung ab 2009 verarbeitet werden.

Anmerkung: Herr Dr. Kunze blendet offenkundig die erteilte Genehmigung zum Betrieb des Kurzzeit-Zwischenlagers auf der Deponie Spröda (hier 3. Punkt) aus. Die von ihm erwähnte Brennstoffproduktionsanlage in Bernburg müsste ja spätestens ab Anfang des 3. Quartals 2007 die Abfälle des besagten Zwischenlagers annehmen, um dessen Beräumung bescheidkonform gewährleisten zu können.

Weiter sagte Herr Dr. Kunze:
… In Skandinavien, ich sagte es schon, Finnland laufen auch Versuche über 6 Jahre und es wurde kein nennenswerter biologischer Abbau registriert. Kohlenstoffgehalt, also sprich die Gebrauchseigenschaften dieser Heizwertfraktion, bleibt also bestehen. Die Mikrobiologie, da gehen wir dann noch genauer darauf ein, ist also ungünstig. Es sind also keine ordnungsgemäßen Milieubedingungen vorhanden, keine Nährstoffe in der ausreichenden Zahl, um Zersetzungsprozesse durchführen zu können. Das Material bleibt im Wesentlichen unverändert. So, die Lagertechnologie ist also komplett, kompakt, Einbau als Stapelblock. Die Stapelhöhe ist bis zu 20 m vorgesehen. Die Außenböschung 1 zu 3. Die eingebauten Ballen sind noch einmal mit Dichtfolie, also die Ballen sind selber 24 Mal umwickelt und auf diesen Stapelblock kommt noch einmal Dichtfolie darauf und dann wird noch einmal mit einem halben Meter Boden abgedeckt. Die Oberflächenfolie sichert also eine Ableitung der Niederschläge. Die kommen gar nicht mit den Ballen, mit den umhüllten Ballen in Berührung. Defekte Ballen werden mit einer Wickelmaschine noch einmal umwickelt.

Anmerkung: Sehr geehrter Herr Dr. Kunze, vereinbaren Sie doch mit entsprechenden Fachleuten des RP Leipzig, also mit der Überwachungs- und Genehmigungsbehörde, Vor-Ort-Besichtigungstermine der zahlreichen KWD- Ablagerungen von heizwertreichen Abfällen. Vor allem im Senftenberger Lager (hier 4. Punkt) werden Sie erstaunt sein, wie viel Leben in solchen Ballen steckt.

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6. Zwischenlagerung auf der Deponie Zeuchfeld/Freyburg

Die Kreiswerke Delitzsch haben sich Ablagerungskapazitäten für heizwertreiche Abfälle bis zu 20.000 t/a auf dem Gelände der Deponie Zeuchfeld vertraglich gesichert. Betreiber dieser Deponie ist der Zweckverband Abfallwirtschaft Sachsen Anhalt Süd (ZAWSAS).

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Hinweis: Ein Teil der Bilder wurde uns anonym übersandt. Diese Dokumentation wird fortlaufend aktualisiert.

Delitzsch, 01.07.2007


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